Ein französischer Dreiakter über Vergänglichkeit, Tod und Weiterleben
„Colombe findet immer öfter eine Art Beglückung darin, lebendig zu sein, sie hat gegen den Tod gewonnen, sie kann immer noch lernen, vorangehen, etwas schaffen. Also macht sich Colombe daran, diesen Text zu schreiben, wohl wissend, dass schreiben nicht tröstet und lesen auch nicht, trotzdem kommt es vor, dass ein Satz eine Bewegung auslöst und dass man mithilfe dieser Bewegung weitermachen kann, bis man stirbt.“
Es gibt vermutlich intellektuellere Einstiege in eine Rezension, aber darf ich kurz festhalten, dass der Name der Autorin in Verbindung mit dem eleganten Umschlag ein regelrechter Sirenenruf ist: Colombe Schneck. Besser geht’s nicht, dachte ich Leser von geringem Verstand, aber noch besser wurde es dann natürlich doch.
Zunächst sei Rowohlt applaudiert, der die drei schmalen autofiktionalen Werke – in Frankreich 2015, 2019 und 2021 erschienen – in einem Band veröffentlicht, statt PARIS-TRILOGIE in Richtung des Erfolgs von Tove Ditlevsens Kopenhagen-Dreiteiler schielend als zeitlich versetzte Einzelbücher auf den Markt zu bringen … und dreimal abzukassieren. So ist es nun möglich, die 205 von Claudia Steinitz übersetzen Seiten in einem Rutsch zu lesen. Ach, lesen: verschlingen und genießen!
Was die drei Bände neben der autofiktionalen Nabelschau vereint und durchweht ist ein sehr französisches Gefühl, das gewisse Etwas, jenesaisquoi: diese besondere Art, eine nüchterne Erzählweise und genaue Beobachtungsgabe mit feinem Schmelz zu verweben. Colombe Schneck schreibt über drei Situationen, die sie verändert haben, drei Lebensphasen … und wenn man es so sehen will auch dreimal über Vergänglichkeit und Tod. Dabei schlüpft sie zum Teil in die Gedankenwelt ihres früheren Ichs, nutzt die Abstraktion, die Schreiben bedeuten kann, aber vor allem, um in der Rückschau auszuloten, was geschehen ist. Ob sie dabei so schonungslos ist, wie es manchmal wirkt? Und natürlich darf man sich einmal mehr fragen, ob das Hadern der französischen (oder der Pariser) Bourgeoise mit dem eigenen Leben und seinen Privilegien nun Gauloises-umwehter Selbsthass ist oder Koketterie, die wie ein exklusives Parfüm zum Einsatz kommt …
In 17 JAHRE legt die Autorin Zeugnis ab, wie sie – beziehungsweise die literarische Figur, die ihren Namen trägt – als ein das Leben hingebungsvoll, aber gedankenlos auskostender Teenager ungewollt schwanger wurde und sich für einen Abbruch entschied, etwas, was sie als Erwachsene nicht bereut, aber betrauert; diese feine Ausgewogenheit hat mich sehr berührt.
In ZWEI BÜRGERTÖCHTER lässt uns Colombe teilhaben an einer Freundschaft, die nicht nur von Solidarität und Zugewandtheit geprägt ist, sondern auch einer messerklingenfeinen Eifersucht, und an Héloïses viel zu frühem Tod; ein Text, den ich vielleicht mit etwas zeitlichem Abstand ein zweites oder drittes Mal lesen muss, um ihn in allen Nuancen würdigen zu können.
Und auch, wenn in FREISCHWIMMEN niemand ums Leben kommt, stirbt hier eine Liebe (noch dazu die einer 50-jährigen zu einem jüngeren Mann); doch gleichzeitig ist der elegische Schmerz, in den Colombe sich fallen lässt, kein Ende (und nicht ohne Ende), sondern das Feuer für ihren Phoenix.
Vor die Frage gestellt, ob die PARIS-TRILOGIE nun ein samtiger Rotwein ist, ein im Barrique ausgebauter Weißwein oder ein Champagner mit geringer Dosage, muss ich passen – aber so viel ist klar: PARIS-TRILOGIE ist ein Fest, auf das man anstoßen kann. Santé, l’chaim und HACH²!
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Colombe Schneck: PARIS-TRILOGIE. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Rowohlt, 2024
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