Es mag für viele ein literarisches Fest sein, dieses Buch zu lesen – ich hätte besser auf die Einladung verzichtet
„Martha lernte den faszinierenden Unterschied zwischen dem Sehen und dem Sehen während des Zeichnens kennen. Mit der Zeit gewann sie den Eindruck, dass sie alles, was sie nicht zeichnete, nicht wirklich kennenlernte. Durch das Abzeichen wurde ihr bewusst, dass sich eine Blume beim exakten Kopieren vollkommen veränderte, dass sie ein Gesicht erhielt, das ihr vorher entgangen war. Mit jeder neuen Studie erfuhr sie mehr über das Blumengesicht. Die Botanik spricht den Pflanzen Augen zu, doch beim Abzeichnen der Iris hatte Martha den Eindruck, dass diese Blume ein Maul besaß, ein weit aufgerissenes Mail mit langer, stachelbewehrter Zunge.“
Wenn ein literarisches Buch mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet, dann könnte man die Sommernovelle EINE YACHT von Anna Katharina Fröhlich in diese Qualitätsrubrik einordnen. Leider aber stellte sich mir Leser von geringem Verstand vor allem eine Frage: „What the fuck?“
In einem Brief, der dem schmalen, handschmeichelnden Pappband beigelegt ist, attestiert Christian Döring (von dem offen bleibt, welche Funktion er im Verlag Friedenauer Presse hat) der Autorin „sinnliches und detailhungriges Erzählen, mit scharfer Beobachtungsgabe voll Esprit und Eleganz“. Und tatsächlich haben mir die ersten Sätze so gefallen, dass ich mit dem Buch zur Kasse ging … hatte ich doch den Eindruck, hier ein Buch in der Hand zu haben, das sich mit dem vortrefflichen „Die Gouvernanten“ von Anne Serre vergleichen ließe. Dabei hätte ich gewarnt sein können, denn gleich auf der zweiten Seite findet sich dies: „Immer, wenn Martha das Geschäft betrat, hatte sie das Gefühl, in eine Welt einzudringen, die für Erminas Kunden von fast geistiger Bedeutung war“ – das lässt sich tatsächlich hübsch an, oder? –, „eine Welt, in der die Bordüren, Bänder und Knöpfe mehr darstellten als lediglich Waren: Sie bildeten Samenkörner für die Phantasie, Keime und Sporen, aus denen Tischdecken und Topflappen, Blusen und Bettjacken erwuchsen.“ Man möge mir verzeihen, aber aus meiner Fantasie ist noch nie ein Topflappen gesport oder gekeimt, auch nicht unter Zuhilfenahme von Bordüren und Knöpfen …
Aber worum geht es? Nicht um die titelgebende Yacht, sondern um die Engländerin Martha, die nach Italien kommt, um Malerei zu studieren; wenig später findet sie sich an der Seite des abgebrannten Lebenskünstlers Salvatore Spinelli in einem Landgut am Meer wieder, mit ganz besonderen Gastgebern, einer ganz besonderen Nachbarin und einem jungen Mann namens Griša, der ebenfalls ganz besonders ist, nach erfolgtem Beischlaf aber auch meint, eine fiebrig-donnernde Rede gegen die Konsumsucht der modernen Welt anstimmen zu müssen („Gummizwerge, Dildos, Mixer und Blender! Schrott, immer mehr Schrott sollen die Jungen herstellen und sich untereinander verkaufen, Prada-Fetzen, Gucci-Lumpen, Porsche-Müll, Dolce & Gabbana-Tand.“). Am Ende stirbt dann noch ein Kater namens Kimono, nicht ganz freiwillig, aber kommentiert mit einem „Der wenigstens geht jetzt direkt ins Paradies“. Das gilt leider nicht für das wilde, vermutlich von den Fans der Autorin in jeder Zeile innig empfundene Sammelsurium von sprachlichen Bildern, das sich über 164 Seiten mühsam in Richtung des Bedeutungs-Friedhofs schleppen muss.
Was wirklich schade ist: DIE YACHT hätte ein wirklich schönes Buch werden können, denn in seinen besten Momenten kann die überbordende Süffigkeit der Szenerien durchaus überzeugen und nimmt uns mit in eine wie aus der Zeit gefallene Pracht – allein, die Geschichte soll in der Gegenwart spielen, was meiner Meinung nach leider keinen reizvollen Spannungsraum eröffnet, sondern nur irritiert. Und vor lauter Begeisterung für das künstlerische Drechseln von Sätzen verliert die Autorin immer wieder aus dem Blick, dass das, was sie da zu Papier bringt, auch über den Moment der sprachlichen Faszination hinaus einen Sinn haben sollte. Um nur ein Beispiel zu nennen: „Die ganze Zeit schon hatte Martha die Witterung eines Lebens in Ordnung und Konzentration wahrgenommen, doch nach den letzten Worten der Malerin stiegen Bilder in ihr auf, klar und deutlich, wie nacheinander aus einer Schachtel zu Boden gleitende Spielkarten.“ Ja, was denn nun, steigt da etwas auf, während es gleichzeitig fällt, und in der Mitte wird gewittert? Auch schön, weil zumindest geradlinig in der Argumentation: „Hier [auf der Yacht], wo die Ordnung ins Absolute gesteigert war, hatte die Architektin es verstanden, aus jedem Klosett einen Ort des Vergessens zu machen, mit den Lichtverhältnissen eines Hammams. Auf einem Klo der Devil’s Kiss musste auch der profanste Gast über die Schönheit des Lebens nachzudenken beginnen.“
Ich möchte tatsächlich lieber über die Schönheit des Lebens nachdenken als über dieses Buch – und mein Eindruck ist: Der oder die Lektorierende hat das ebenso gehalten … Aber, und das räume ich gerne ein, vielleicht bin ich auch einfach zu platt für den vom bereits erwähnten Christian Döring gelobten „Sommernachtstraum, der auch über den Tag hinausweist“. Und so verabschiede ich mich (und mein leicht gebräuntes Doppelkinn) mit dieser von der Autorin bereitgestellten Kostbarkeit:
„Neben der Ruine des römischen Amphitheaters blühte ein Granatapfelbaum, und wie schön verklang das Sirren eines am Herkulestempels vorbeigleitenden Fahrrads, auf dem ein junger Mann dahinfuhr!“ (Ich sage schon gar nichts mehr dazu, dass ein Ausrufezeichen hier zwar keinen Sinn macht, aber selbstverständlich nicht fehlen darf.) „Er sah so aus, als ob er Bücher läse und sich an seiner Belesenheit freute, dieser kleinen intellektuellen Überlegenheit, die sich, wie eine feine Ader in hartem Marmor, durch sein blasses Gesicht zog. Sogar aus seiner im Fahrtwind auffliegenden Krawatte schien die Freude an dieser Überlegenheit hervorzuwehen.“
Noch Fragen?
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Anna Katharina Fröhlich: DIE YACHT – Eine Sommernovelle. Friedenauer Presse, 2024
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