In der Schwemme der Italien-Bücher, die zum Gastland der diesjährigen Buchmesse erscheinen, ist dieses hier ein Highlight. Glaube ich zumindest.

„Erwachsen und eine Frau zu sein, bedeutet vielleicht genau das: Es hatte nichts mit dem Blut zu tun, das einmal im Monat kam, auch nichts mit den Bemerkungen der Männer oder mit schönen Kleidern. Eine erwachsene Frau zu sein bedeutete, einem Mann, wenn er sagte: ‚Du gehörst mir‘, in die Augen zu sehen und ihm zu antworten: ‚Ich gehöre niemandem.‘“

Das Umschlagmotiv zieht den Blick wie magisch an (passend zu einem Roman, in dem es um das Sehen und Gesehenwerden in verschiedenen Bedeutungen geht) – und zum Glück habe ich nicht den Werbetext gelesen, denn sonst hätte ich MALNATA bei einer Freundin liegen lassen: Ich bin kein Fan von Coming-of-Age-Romanen, beschwere meine Lesestunden ungerne mit Geschichten aus der Zeit des Faschismus. Aber schon nach dem Prolog hatte mich Beatrice Salvioni in ihren Bann gezogen, und wer schneller liest als ich, wird die 263 augenfreundlich gesetzten Seiten vermutlich in einem Tag und Rutsch verschlingen, mit aufgerissenen Augen und immer wieder einem „Wow!“ auf den Lippen.

Die Lombardei im Jahre 1935: Francesca Strada und Maddalena Merlini, zwei Seiten einer Medaille– hier die überbehütete Tochter eines Hutfabrikanten und seiner auf die Bella Figura bedachten Gattin, da das Mädchen aus einer vom Schicksal heimgesuchten Arbeiterfamilie, im ganzen Ort verhasst und als „Malnata“ beschimpft. Trotzdem – gerade deswegen – sehnt sich die brave Francesca nach der Freundschaft der angeblichen Unheilsbringerin. Doch schon im Prolog erfahren wir, dass Maddalena sie später davor bewahren muss, am schlammigen Ufer des Flusses Lambro vergewaltigt zu werden …

Anja Nattefort hat den in 35 Sprachen übersetzten Roman fließend aus dem Italienischen ins Deutsche übertragen. MALNATA ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden von Frauen in Zeiten, in denen sie vor allem hübsch und still sein sollten, über Freundschaft, über den schönen Schein und seine hässliche Kehrseite. Aufgrund der Handlungszeit verbietet es sich, von einer archaischen Welt zu sprechen, aber der Machtanspruch der Faschisten, die brutalen Schläge eines Vaters, überhaupt der Umgang mit Kindern und die Härte einer Gesellschaft, die schwarze Schafe braucht, um sich selbst erhaben fühlen zu können, scheint so viel länger zurückzulegen als gerade einmal 89 Jahre … wobei vermutlich die Frage im Raum steht, ob es heute überall anders ist.

Francesca, die Erzählerin der Geschichte, macht sicher die größere Entwicklung durch, aber wie der Titel schon ahnen lässt, verlieben wir Lesende uns in die Titelheldin, in ihren unbeugsamen Willen, ihre selten unterdrückte Kompromisslosigkeit und vielleicht sogar in die ihr eigene Brutalität. Das liegt auch daran, dass Salvioni hier keine Superheldin mit gut ausgeleuchteter Origin Story ins Rennen schickt, sondern eine verletzte Seele, die unter Druck hart geworden ist und jederzeit zersplittern könnte.

Es gibt wenig Sonnenschein in diesem schmalen, kraftvollen Roman (den ich gelesen habe, bevor ich mich in den Film MORGEN IST AUCH NOCH EIN TAG verliebte, den ich dringend empfehle … und durch den ich das Buch noch dazu besser verstanden habe); man wird die meisten Figuren sogar mit einer gewissen Inbrunst hassen, aber umso wärmer leuchten die wenigen Momente des Glücks (und der von mir sehr ins Herz geschlossene Noè). Zu Beginn musste ich ein paar Mal an die Titelmelodie der Jugendbuchverfilmung DIE ROTE ZORA denken, zwischendurch an das ABC der Frauenerniedrigung, die im von mir wenig geschätzten MIROLOI durchdekliniert wird, dem MALNATA aber mehr als nur den schlüssigen Weltaufbau voraus hat. Ich sag’s nicht oft, aber ich habe dieses Buch fast als makellos empfunden … weswegen das meiner Meinung nach zwar dramatisch donnernde, gleichzeitig aber etwas schwache Ende wenig ins Gewicht fällt, zumal der letzte Absatz großes Kino ist und ein einziges JA, JA, JA.

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Ich habe dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen, die beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Beatrice Salvioni: MALNATA. Aus dem Italienischen von Anja Nattefort. Penguin Verlag, 2024