Constance Debré erzählt in ihrem autofiktional geprägten Roman PLAY BOY davon, wie sie beginnt, mit Frauen zu schlafen – und in die Rolle eines Mannes schlüpft.

„Ein Frauenkörper ist dazu da, ihn mit der Hand und dem Mund zu berühren, eine Frau ist dazu da, gefickt zu werden. Brüste sind dazu da, berührt zu werden, ein Arsch ist dazu da, sich darin zu vergraben, eine Muschi ist dazu da, den Mund hineinzuschieben, den Duft zu riechen, die Zunge und die Finger hineinzustecken, den Geschmack zu lutschen, diesen verdammt süßen Geschmack. Kein Mann kann da mithalten. Ich verstehe Männer, die zu Nutten gehen. Ich verstehe sogar die Vergewaltiger. Zum ersten Mal spüre ich die ganze Gewalt des Verlangens wie einen Stich. Des Verlangens nach dem Körper der Frauen.“

Sie stammt aus einer angesehenen Familie, auch wenn ihre bereits verstorbene, kapriziöse Model-Mutter und der Vater, dessen exzessives Leben nun im Alter seinen Tribut fordert, möglicherweise keine perfekten Role Models waren: „Ich hab nie wirklich verstanden, warum die Leute so einen Horror vor drogenabhängigen Eltern haben“, legt die Autorin Constance Debré ihrer Hauptfigur in den Mund, bei der es sich ebenfalls um Constance Debré zu handeln scheint: „Meine Schwester und ich hatten trotzdem viel Spaß.“

Sie selbst hat dagegen alles richtig gemacht – Jura studiert, einen Mann aus den passenden Verhältnissen geheiratet, ein Kind mit ihm bekommen, als Anwältin gearbeitet; genau darin hat sie lange ihre Erfüllung gefunden: „Dieser Job passt zu mir. Niemand sieht die dreckigen Jeans, die ich unter der Robe trage […] Ich liebe die Schuldigen, die Pädophilen, die Diebe, die Vergewaltiger, die Bankräuber, die Mörder. Bei den Unschuldigen und den Opfern weiß ich nicht, wie ich sie verteidigen soll. Was mich fasziniert, ist nicht die Schuld, sondern zu sehen, wie tief ein Mensch abstürzen kann.“

Doch das liegt nun hinter ihr, denn Constance hat erkannt, dass sie etwas anderes will: sich selbst in den freien Fall werfen, den Anwaltstalar gegen ein fleckiges T-Shirt tauschen, ein Leben jenseits des (viel zu bürgerlichen) Kreislaufs von laufenden Kosten und Erwerbstätigkeit führen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie die Denkweisen der Bourgeoisie hinter sich lassen will, im Gegenteil. Und dass sie ab sofort nur noch mit Frauen schlafen will? Gibt ihr vor allem die Möglichkeit, sich dem Rausch dessen hinzugegen, was einhergehen kann mit maskuliner Überheblichkeit und patriarchaler Machtfantasie.

Constance Debré schreibt in ihrem autofiktionalen Roman PLAY BOY schonungslos offen über Begehren – und das Gegenteil

Klingt unsympathisch? Ist es auch! Und kommt nicht ganz unerwartet: PLAY BOY ist der erste Roman einer Trilogie, deren zweiter Band LOVE ME TENDER bereits letztes Jahr – und auch schon in fließender Übersetzung von Max Henninger – bei Matthes & Seitz erschienen ist. PLAY BOY ist aber keine Vorgeschichte im eigentlichen Sinn, sondern eine erste Raumgreifung, mit der die Autorin ihren neuen Lebensabschnitt auslotet (beziehungsweise ihr Alter Ego dies tun lässt). Im zweiten Roman wird sie Opfer sein, wenn ihr Exmann Laurent versucht, ihr das Sorgerecht zu entziehen; im ersten ist sie vor allem Täterin. Denn wie sie mit Frauen umgeht? Ist vieles, aber nicht okay. (In diesem Zusammenhang sei erwähnt: Diese Rezension enthält ab hier Spoiler, wobei diese weniger ins Gewicht fallen, da das Buch keine plotgetriebene Geschichte erzählt.)

Da ist Agnés, ein paar Jahre älter, auch verheiratet, aber noch so in klassischen Rollen verhaftet, dass sie sich ihrer Liebhaberin nur selten hingibt (und diese stattdessen, in einer wirklich spannenden Szene, die einen eigenen Roman verdient hätte, ihrem Mann vorführt). Constance begehrt und despektiert sie zu gleichen Teilen: „Ich hab mir gedacht, das ist also eine Frau, […] ein Körper, der die Huldigungen, die man ihm erweist, nicht erwidern kann, ein Tier, das nichts von Liebe und Verlangen weiß, das auch nichts von Schönheit versteht.“ Wie Agnés sich kleidet, wie sie sich verhält, das widert Constance an, und schnell mischt sich ihre arrogante Abwertung dessen, was sie als kleinbürgerlich empfindet, mit einem Blick auf das eigene Geschlecht, der sie vielleicht mehr erregt, als er sollte: „Eine Frau zu lieben bedeutet, sie gleichzeitig zu verachten. Ich habe die Gewalt der Männer verstanden. Ich hab mich gefragt, ob es das ist, was sie für uns empfinden, was Laurent für mich empfunden hat.“

Und dann ist da Albertine, genannt Albert, jung, kapriziös, lustbetont; eine Frau aus Constances Schicht, die sie schon seit deren Kindertagen kennt, die „sich nicht mit dem Hinweis rechtfertigen muss, dass sie Hegel gelesen hat“. Albert ist alles, was Agnés nicht ist, aber auch nicht das, was Constance auf Dauer befriedigt: „Ich hab mir gesagt, dass es in Ordnung ist, ein etwas verwirrtes Mädchen zu lieben, dass es das ist, was [ihr Ex-Freund] und ich wollten, ein Mädchen, das sehr begabt in der Liebe ist, das man sehr schnell, sehr intensiv liebt und dann ohne Bedauern wieder verlässt.“

Vielleicht braucht man einen Moment, um zu verstehen, dass es in Constance Debrés Roman nicht um einen Playboy geht – sondern das Spielen eines Mannes

Constance Debré hat ein Buch geschrieben, das für mich Fragen aufwirft – und mich vor den Kopf stößt, weil ich gemerkt habe, wie Constances Aggressivität und die Art, wie sie in einer Mischung aus Überheblichkeit und Selbstermächtigung den Playboy spielt, mich zunächst fasziniert hat.

Es mag an meinem begrenzten Horizont liegen, aber ich neige dazu, Frauen dafür zu schätzen, wenn sie angeblich unweibliche Verhaltensweisen haben – wenn Buffy große Kerle verprügelt, wenn Miranda Priestly in „Der Teufel trägt Prada“ und Patty Hewes in „Damages“ faszinierende Monstren sind; wem das jetzt zu fiktiv ist, der möge sich daran erinnern, wie Angela Merkel diversen Menschen „das volle Vertrauen“ ausgesprochen hat … was sich stets wie die Titelmelodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“ anhörte.

Die Frage, ob es „irgendwie okay“ ist, dass eine Frau sogenanntes männliches Verhalten für sich reklamiert und darum eine andere Frau mit genau dem taxierenden, sie auf ihr erotisches Potential abcheckenden Blick belästigt, beantwortet sich natürlich von selbst (weil: NEIN!), und trotzdem konnte ich mich dem dunklen Sog nicht entziehen, den die fiktive Constance und die Erzählweise der realen Autorin auf mich ausgeübt haben.

Ganz egal, ob man die Erzählerin – von der, wie eingangs erwähnt, offen bleibt, wie deckungsgleich sie mit ihrer Autorin ist – nun für ein existenzialistisches Raubtier hält oder für ein Arschloch, es ist fesselnd, sie 158 Seiten lang zu begleiten, auch wenn man ihr persönlich lieber nicht zu nah kommen möchte. Gleichzeitig würde ich sofort einen Roman über ihre Großmutter lesen wollen, eine ebenso versnobte wie verarmte Adlige: „Sie war 1,80 groß, fuhr in ihren Peugeots mit Vollgas und einer Pall Mall im Mundwinkel durch die Gegend und hat Dackel gezüchtet.“

Lesen oder lassen? LESEN!

Es ist viel Glitzer in diesem Buch, viel Schmutz und viel Suche nach eine Rolle, die Constance einen Weg aus der eigenen Übersättigung zeigt. „Mit vier Jahren war ich homosexuell. Ich wusste das sehr genau und meine Eltern auch. Danach war es irgendwie vorbei“, stellt sie pragmatisch fest, „und heute ist es wieder da. So einfach ist das.“ Davon abgesehen ist nichts, aber auch wirklich gar nichts einfach an diesem Buch. Und deswegen macht es die Lektüre meiner Meinung nach auf verschiedenen Ebenen lohnenswert.

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Ich habe dieses Buch selbst im niedergelassenen und unabhängigen Buchhandel gekauft. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Constance Debré: PLAY BOY. Aus dem Französischen von Max Henninger. Matthes & Seitz Berlin, 2025.