Die Trauerrednerin Andrea Franken verwebt ihr ihrem Sachbuch VANILLEEIS ZUM LETZEN GRUSS Praxisbeispiele und Anekdoten aus ihrem Beruf, sachkundige Informationen und ganz persönliche Erfahrungen zu einem stimmigen Ganzen, das man trotz des Themas sehr unterhaltsam nennen kann.
„Opa Hans-Theo hat den Stein ins Rollen gebracht. Wir allen müssen einmal gehen, und wir alle haben einen würdigen, individuellen Abschied verdient. Ich ließ mich zur Trauerrednerin und freien Rednerin ausbilden und begleite seither Menschen, die jemanden verloren haben. Ich helfe ihnen, ihre Liebsten so in Erinnerung zu behalten, wie sie gelebt haben. Und davon erzählt dieses Buch.“
Der alte Mann, der zwei Tage vor einem großen Familienfest nicht mehr aufwacht; die beiden Brüder, die gemeinsam am anderen Ende der Welt einen tragischen Unfall haben; ein Kind, das nie seinen ersten Atemzug tun wird: Jedes Leben endet, und nicht alle im hohen Alter. Wie aber spricht man über Menschen am Tag ihrer Beisetzung – kann man 90 Jahre in neunzehn Sätzen zusammenfassen, und mit welchen Worten soll man versuchen, Eltern Trost zu spenden, die ihr Kind nie aufwachsen sehen werden?
Andrea Franken, ehemals Ergotherapeutin, Moderatorin von Reitturnieren und laut eigener Aussage Stimmungsmacherin, findet die richtigen Worte: Als Trauerrednerin hat sie gelernt, die richtigen Fragen zu stellen, zuzuhören und so einen Text zu weben, den sie später in einer Aussegnungshalle oder an einem Grab vortragen wird – um die verstorbene Person zu ehren und den Menschen beizustehen, die gekommen sind, um Abschied zu nehmen. Und weil Worte allein manchmal nicht reichen, hat Andrea Franken Ideen, die uns lange in Erinnerung bleiben werden, ganz egal, ob dabei Puzzleteile zum Einsatz kommen oder das titelgebende VANILLEEIS ZUM LETZTEN GRUSS verteilt wird.
Ein Buch über Tod und Abschied – aber auch eins über das Leben und das Weitermaschen
Über ihre Erfahrungen hat Andrea Franken nun ein geradliniges, aber zugewandtes Buch geschrieben: Auf 224 Seiten erzählt sie von trauernden Hinterbliebenen und streitenden Verwandten, von der Frage, was man mit unzähligen handgeschriebenen Logbüchern tun soll, und von der Herausforderung, einen engen Freund zu waschen, anzuziehen und in seinen Sarg zu betten. Wir sind dabei, wenn sie einen Schnaps angeboten bekommt, können ein Lächeln nicht unterdrücken, wenn wir uns vorstellen, wie ein falsch eingestellter Verstärker ihre Stimme nach Jahrmarktansagerin klingen lässt – und dann gibt es noch die Sache mit der Hummel … Die werdet ihr so schnell nicht vergessen, die Hummel, und man möchte die Autorin dafür umarmen, dass sie es auch nicht getan hat.
Obwohl ich Andrea Frankens Stimme nicht kenne, bin ich sicher, dass sie warm klingt und besonnen, während sie uns von Anekdote zu Anekdote führt – und von einem Denkanstoß zum nächsten. Was ich als wohltuend empfunden habe: Sie erhebt in ihrem Buch keinen Anspruch darauf, im Besitz einer allgemeingültigen Wahrheit zu sein. Andrea Franken dokumentiert, gibt wertvolle Hinweise auch für den eigenen Umgang mit dem Thema Sterblichkeit, das uns alle irgendwann einholen wird. Wenn’s soweit ist, dann wünschen wir uns einen Menschen wie sie an unserer Seite (beziehungsweise an die Seite unserer Hinterbliebenen). Mir gefällt sehr gut, wie einfühlsam und souverän sie das Gute würdigt, ohne das Schlechte auszublenden, und wie sie beides manchmal in Einklang bringt; noch dazu scheint sie sich auf die Kunst zu verstehen, das Laute zu hören und auch dem Leisen einen Ausdruck zu geben.
„Mein Beruf bereichert mein Leben“, schreibt Andrea Franken: „Die ständige Beschäftigung mit der Frage, wie ein Verstorbener authentisch in Erinnerung bleiben kann, hat auch Einfluss darauf, wie ich selbst lebe. Ich ruhe mehr in mir. Nehme klitzekleine Glücksmomente stärker wahr.“ Das merkt man dem Text an, und so wird das Buch trotz des Themas dem Anspruch des Untertitels gerecht: INSPIRIERENDE GESCHICHTEN VON LEBEN, TOD UND ABSCHIED.
Obwohl VANILLEEIS ZUM LETZTEN GRUSS natürlich ein Sachbuch ist, liest es sich – auch durch den unaufgeregten Plauderton der Autorin – fast wie ein autofiktionaler Roman. Und zwar einer, der ein Gefühl von Trost vermittelt, auch wenn man gerade gar keinen braucht. Andrea Franken hat deswegen mehr geschrieben als einen Ratgeber für gerade Betroffene oder Menschen, die ahnen, dass sie sich bald mit einem schweren Verlust auseinandersetzen müssen; das Buch bündelt auf unaufdringliche Art Alltagsweisheiten, sodass die Lektüre über das eigentliche Thema hinaus ein Gewinn ist. Vielleicht lässt sich dies auch in diesen Worten der Autorin entdecken:
„Ich lasse mich gerne vom Leben überraschen. Ich bin aufmerksamer geworden, und das, was mir begegnet, bewerte ich bewusst nicht sofort. Auch dies ist ein Grund dafür, dass mein Leben reicher geworden ist, seit ich als Trauerrednerin arbeite.“
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern es von einer Freundin, die beim Verlag arbeitet, geschenkt bekommen. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.
Andrea Franken: VANILLEEIS ZUM LETZTEN GRUSS – Inspirierende Geschichten von Leben, Tod und Abschied. Kösel Verlag, 2025.
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