(Mehr als) ein Befindlichkeitenroman – und noch dazu toll erzählt
„Ein Gefühl ist ein Gefühl ist ein Gefühl, das ist da und schreit laut, das quäkt rum und will was, gesehen werden oder so, und dem Gefühl ist es egal, ob man es in drei Monaten noch fühlt, Gefühle kennen nur ein Gestern und ein Jetzt, sie kennen absolut kein Morgen.“
Manchmal ist es einfach da, so ein Loch: Weil wir traurig sind, weil wir nicht weiterwissen; weil uns niemand sagt, ob das Leben, das wir führen, das richtige ist. Müssen wir Popstars sein auf der Bühne, die wir uns selbst gesucht haben? Manchmal stehen wir einfach am Rande eines Lochs und schauen in die Dunkelheit, weil wir wissen, dass sich einer unserer Wünsche nicht erfüllen wird (auch wenn offen bleibt, ob dieser Wunsch einer ist, den wir uns eingefangen haben wie eine Grippe). Und wenn es richtig ungünstig kommt, spüren wir so ein Loch nicht nur im Gemüt, sondern auch im Körper, wenn nach einer Operation etwas nicht mehr da ist, was da eigentlich hingehört.
Willkommen im Leben von Katharina, die zielsicher auf ihren 40. Geburtstag zustolpert und noch nie richtig verliebt war, obwohl sie sich in ein paar Beziehungen wirklich darum bemüht hat – und die ihre „biologische Uhr“ umso lauter ticken hört. Genauer gesagt: ticken hörte. Denn jetzt erholt sie sich von einer Hysterektomie. Damit ist ihr Wunsch, eigene Kinder zu bekommen, vorbei; stattdessen hat sie nun ein Loch im Bauch. Eins, von dem sie sich nicht mit zu viel Arbeit ablenken kann, mit zu viel Essen oder einer Reise auf ihre Sehnsuchtsinsel.
Kathrin Weßling schont ihre Protagonistin nicht, ganz im Gegenteil – und ob der vermeintliche Silberstreif am Horizont wirklich einer ist? Katharina tritt in die Fußstapfen der „Späßeckenulla“, wird also samstags in der Seniorenresidenz SONNENHANG Karten, Kniffel oder anderes spielen. Aber weder die gestrenge Direktorin Paola, noch die übellaunige Rentnerin Margot haben auf sie gewartet. Und der Pfleger Umut? Ist ein Kerl, wie man ihn sich wünscht – allerdings deutlich zu verheiratet.
MÜSSEN KRITIKPUNKTE BETONT WERDEN? NÖ.
Wenn man Kritik üben wollen würde, man könnte an SONNENHANG bemängeln, dass die Autorin wenig macht aus ihren wunderbaren Nebenfiguren. Die Menschen in der Seniorenresidenz, der alte Barmann Holgi und seine männerhassende Hündin Fine, Katharinas Freundinnen, aber auch ihr Ex Schnittlauch: Sie alle sind vor allem dazu da, die Handlung voranzutreiben und Katharina von A nach B und C zu bringen. Das kann man schade finden, es ist aber auch folgerichtig. Katharina hat schließlich das Gefühl, neben sich zu stehen („Ist die ganze Welt nur eine getrickste und schlecht angemalte Pappmachématsche?“), und obwohl sie immer eine Hand ausstreckt, um ihr Leben in den Griff zu bekommen, scheint das für sie unerreichbar zu sein. Ob am Ende der gerade mal 215 Seiten trotzdem ein Happy End auf sie wartet? Verrate ich hier ganz sicher nicht.
Was ich viel lieber betonen möchte (neben meiner Begeisterung für den Umschlag): Obwohl man Kritik an der Dramaturgie haben könnte – und ich benutze hier bewusst den Konjunktiv –, ist diese am Ende nicht ausschlaggebend, denn viel wichtiger als die Frage, was für eine Geschichte Kathrin Weßling erzählt, ist die Begeisterung dafür, wie sie es tut. Die Autorin wirft uns mitten hinein in das Neuronengewitter in Katharinas Kopf, sie fädelt Idee, Beobachtungen, Gefühle mit zielsicherer Lässigkeit wie Perlen auf eine Kette. Zugegeben, man muss ein Herz für Bandwurmsätze haben, aber dann wird man hier immer wieder denken: „Wow, ist das gut.“ Überhaupt ist SONNENHANG einer jener Romane, aus denen man liebend gerne vorliest, um sich gemeinsam an den oft überraschenden Bildern zu erfreuen.
Viele Werbetexte behaupten, dass das jeweilige Buch schlau, todtraurig und dabei humorvoll ist – SONNENHANG ist einer der seltenen „eierlegenden Wollmilchsauen“, mit Extraschleifchen in den Locken: Weßling jongliert mit einer Coolness, hinter der man die Angst fühlt, und einer Zerbrechlichkeit, in der doch auch ein „Und trotzdem weiter!“ mitschwingt.
„Diese Leute haben einfach insgesamt wenig Gedanken“, schreibt die Autorin auf einer der vielen Seiten, die ich mir mit einem Eselsohr markiert habe, „und wenn man nicht so viel Energie fürs Denken braucht, hat man eine ganz schöne Menge davon fürs Leben.“ Nun weiß ich natürlich nicht, wie viel Offenbarung darin steckt, aber: Wir können Kathrin Weßling dankbar sein, dass sie vermutlich sehr viel Energie für sehr viele Gedanken zum Einsatz bringt … und uns deswegen ein ebenso schlaues wie kurzweiliges wie intensives (und noch dazu nachhallendes) Lesevergnügen beschert hat.
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Ich habe dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen, die beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Kathrin Weßling: SONNENHANG. Rowohlt Verlag, 2025
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