Frau Sargnagel staunt, Frau Rösinger kommentiert und wir amüsieren uns, wenn es uns nicht gruselt vor dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten

„Tratsch ist eine meiner größten Leidenschaften im Leben, und das Reden über andere zu dämonisieren ist meiner Meinung nach antifeministisch. Der Hang zum Tratschen wird fälschlicherweise als Charakterschwäche eingeordnet, dabei ist Tratschen durch das Interesse an anderen Menschen angetrieben und damit zutiefst humanistisch. Verschiedene wissenschaftliche Theorien sehen in der Lust am Tratsch den Ursprung der Sprache an sich. Den Rest hätte man auch durch Laute organisieren können, ausdifferenziertes Sprachvermögen schult sich erst am Lästern.“

Zur in Wien geborenen Schriftstellerin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel hat vermutlich jeder, der sie kennt, eine Meinung – ich hatte keine, weil ich sie noch gar nicht kannte ***, und mich nur wunderte, warum ihre Umschläge so unfroh krakelig aussehen. Warum ich IOWA, die Chronik ihres Ausflugs nach Amerika, trotzdem lesen wollte? Ungewiss. Aber manchmal endet ein Rätsel – Achtung, Lesende mit geringer Pathos-Toleranz werden dies nun herausfordern finden – eben auch mit einer Offenbarung.

Als junger Erwachsener habe ich mit großem Vergnügen die Texte von Max Goldt gelesen, aber so, wie ich mich irgendwann von meiner Bikini-Figur verabschiedet habe, geschah das auch mit seinem Werk (beides wurde mir zu anstrengend), und dass mir eventuell seitdem etwas fehlt, merkte ich erst, als ich mich nun von Sargnagels Nicht-Abenteuern in einem laut ihrer Darstellung besonders öden amerikanischen Bundesstaat begeistern ließ.

Auf 302 Seiten erzählt sie wenig von dem Kurs, den sie an der Universität von Grinnell geben soll (an der die Student*innen aus besten Verhältnissen jederzeit einen Freiwilligendienst in Burkina Faso antreten würden, allerdings überfordert wirken, wenn ein mutmaßlich Obdachloser nach einer Toilette auf dem Campus fragt), stattdessen umso mehr über flirtende Kellner (die möglicherweise aber gar nicht flirten), über die Auslage in Second-Hand-Länden, über das Ensemble einer Absturzkneipe und, weil wir ja schließlich in Amerika sind, auch über Besonderheiten des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, zu denen die sehr fragwürdigen Datingprofile von paarungsbereiten, aber nicht zwingend fortpflanzungsgeeigneten „Einheimischen“ gehören. Wir sind außerdem dabei, wenn sich Sargnagel im albtraumhaften Röhrensystem des Skywalks von De Moines verläuft, wir erfahren, was es in der „Outdoor World“ neben Tarnkleidung und Waffen (beides jeweils für die ganze Familie) noch zu sehen gibt, treffen Amish und … und … und …

Nicht unbedingt treu, aber zugewandt an ihrer Seite weiß Sargnagel dabei ihre Mitreisende, Christiane Rösinger; diese bringt sich gelegentlich selbst ins Spiel durch die locker im Text verteilten Fußnoten, mit denen sie sich gegen Altersdiskriminierung wehrt und gegen die unhaltbare Behauptung, sie würde gerne einen kleinen Hund haben (mittelgroß sollte er schon sein, bitte schön). Nebenbei sei bemerkt, ich hätte mir noch mehr über Frau Rösinger gewünscht, die Frau mit der Bananenphobie und dem Talent zum Nils Holgerson-sein, auch wenn ihr ohne Foto natürlich niemand glauben wird, dass sie am Ufer des Mississippi eine Runde auf dem Rücken eines Pelikans fliegen durfte.

Stichwort Foto: Mit dem Umschlag kann ich mich immer noch nicht anfreunden, ebenso wenig mit der Tatsache, dass ich liebend gerne einige der vielen von Sargnagel erwähnten Schnappschüsse im Buch gesehen hätte, nicht nur die auf dem Vor- und Nachsatzpapier. Oder hätte das den Charakter des Werks verändert?

Sargnagel protokolliert nicht, was sie erlebt hat, sondern webt Momentaufnahmen aneinander: Sie staunt und wundert sich, sie sympathisiert und ist sarkastisch, ohne bei letzterem in eine schneidende Haltung zu kippen, auch wenn sie Pointen setzt wie Skorpionstiche. Galle ohne Bitterkeit, das soll ihr erst einmal jemand nachmachen! So ist es der Autorin möglich, mit dem gleichen entspannten Tonfall über fragwürdige Wurstwaren zu plaudern, über die Verheerungen der Obdachlosenkrise, über den „Furz als Ausdruck von Intimität“ und ihren Slogan für eine Kampagne gegen häusliche Gewalt, mit dem sie zuhause in Österreich einen Skandal beschwor: „Alle töten ihre Frauen, niemand tötet seinen Chef.“

Ganz nebenbei überlegt Sargnagel in dieser unaufgeregten Nummernrevue aus Alltagsbeobachtungen und gesellschaftspolitischen Seitenhieben, ob es okay wäre, die Psychopharmaka abzusetzen, was man ebenso schnell überlesen kann wie die Information, dass sie aus „Katergeilheit“ zweimal hintereinander masturbiert. Too much information oder typisches Standup-Ehrlichkeits-Posing? Sargnagel schont weder sich noch andere, und doch fragt man sich nie, was hier Show ist und was real, wo die Grenze verläuft zwischen Authentizität und Inszenierung. Vielleicht muss man das auch gar nicht wissen? Man kann sich einfach begeistern lassen vom feinen, superb angeschrullten Sargnagel-Sound – und ewig dankbar sein werde ich ihr dafür, das Wort „Damenspitz“ in mein Leben getragen zu haben.

*** Fußnote: Da ich die Autorin vorher gar nicht einordnen konnte, trat ich ihr so gegenüber, wie sie es selbst am liebsten hat bei ihren Flirts, vielleicht aber auch ihren Lesenden: „Unschuldig und unvoreingenommen begegnen sie mir als Frau und nicht als Genie.“

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Ich habe dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen, die beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Stefanie Sargnagel: IOWA – EIN AUSFLUG NACH AMERIKA. Rowohlt Hundert Augen, 2024