Wir brauchen alle mehr solche Romane wie diesen, gerade jetzt!
„Nach dem, was ich in der verfügbaren Literatur dazu finden konnte, führt Cannabis einen sanften, glücklichen Rauschzustand herbei. Vielleicht ist der Stoff auch deshalb in den kapitalistischen Ländern so verteufelt, weil sich die Menschen unter seinem Einfluss so fühlen, als lebten sie schon im Sozialismus.“
Gemeinsam ist man weniger allein – daran musste ich denken, als ich Anfang Februar auf die Theresienwiese ging, um dort für eine offene Gesellschaft und gegen rechtes Gedankengut zu demonstrieren. Zu sehen, wie von allen Seiten Menschen auf die „Wiesn“ strömten, Jung und Mittelalt und Alt, sehr binär oder nicht notwendigerweise in diesen Grenzen zuhause, das war … ein Glücksmoment. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und in diesem Moment war sie laut, hellwach und erfrischend lebendig.
Was das mit Jakob Heins neuem Roman zu tun hat? Eigentlich nichts. Und doch eine Menge. Denn Hein erzählt in WIE GRISCHA MIT EINER VERWEGENEN IDEE BEINAH DEN WELTFRIEDEN AUSLÖSTE so unaufgeregt eine vermeintlich kleine, heitere Geschichte, dass sie in mir ein deutlich größeres Echo auslöste als manch literarischer Titel, der in diesem Frühjahr den Anspruch erhebt, große Themen zu verhandeln.
Berlin in den 1980er Jahren: Grischa ist gerade aus Gera in die Hauptstadt gekommen, um für die Staatliche Planungskommission zu arbeiten. Um genau zu sein: In der Unterabteilung für die „kleinen Bruderländer“, in der sein Chef vor allem deswegen eine weitere Stelle beantragt hat, um zu verschleiern, dass er den ganzen Tag nichts zu tun hat. Da kommt es denkbar ungelegen, dass Grischa viel zu motiviert eine Idee hat, die schließlich zur Einrichtung eines Deutsch-Afghanischen Freundschaftsladens führen wird im Niemandsland zwischen zwei Grenzstationen, wo neben südasiatischen Strick- und Töpferwaren vor allem „Medizinalhanf“ verkauft werden soll. Das bringt, so der Plan, Westdevisen – und destabilisiert noch dazu die Jugend des Klassenfeindes. Kann das gut gehen?
Kleine Tüten, große Wirkung
Grischas Idee sorgt schnell für Aufregung, was eine Ost-Delegation schließlich auf den Gutshof eines westdeutschen Metzgermeisters führen wird, dem Wurst ist, mit wem er Geschäfte macht – und zu einem brisanten Gipfeltreffen, wie es kein zweites gab in der Geschichte des geteilten Deutschlands …
Muss man sich in irgendeiner Form für Cannabis oder dessen Legalisierung begeistern, um Jakob Heins mit entspanntem Witz erzählte und darum so sympathische Schnurre zu genießen, die sich auf 243 augenfreundlich gesetzten Seiten entspinnt? Nö. Denn hier geht’s nicht ums Kiffen, sondern um den Wunsch, etwas zu verändern. Um die Biegsamkeit von Ideen und Idealen in einem System, das nicht darauf ausgelegt ist, und einen Sozialismus, der hier zwar (und ich wage mich hier als rheinlandsozialisierter Geburtswestfale mit Herzensheimat im bunten Bayern auf dünnes Eis) durch eine rosig eingefärbte Brille verniedlicht wird, ohne ihn dabei aber der Lächerlichkeit preiszugeben. Ach, und natürlich geht’s auch um Liebe, die man immer dort findet, wo man sie nicht erwartet.
Ein buntes Pflaster für Weltschmerz-Versehrte
Anders als der Titel vermuten lässt, ist der Weltfrieden in diesem Buch nicht zum Greifen nah. Und doch habe ich ihn in nach der Lektüre ein klein wenig gespürt: Jakob Hein lädt uns ein, all das reale Getöse der Kriege, Präsidentschaften und des sonstigen Hurlyburlys für ein paar Lesestunden zu vergessen, zu schmunzeln, uns zu amüsieren und eine Leichtigkeit zu empfinden, die man im Frühjahr 2025 mit Gold kaum aufwiegen kann. Als Leser von geringem Verstand und mit begrenzter historischer Bildung entgehen mir möglicherweise Nuancen und Anspielungen; das ändert aber nichts daran, dass ich vergnügt lese, dass der Kapitalismus nicht nur ein gefräßiges Raubtier ist, sondern auch eine Pflanze mit seltsamen Blüten, wenn sogar Quittungen zur begehrten Handelsware werden.
Der Autor benebelt uns nicht – und versprochen: Es stellt sich am Ende auch kein Heißhunger ein. Oder vielleicht doch: Wir sind versucht, mehr von Jakob Hein lesen zu wollen und mehr Figuren kennenzulernen, die uns freundlich bei der Hand nehmen und an einen Happy Place führen, wo wir durchatmen können. Ein großes Buch? Vielleicht nicht. Ein kleines Buch, das wir uns und anderen wie einen Rettungsring zuwerfen können? Aber sowas von!
***
Hier geht es zum Interview
***
Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern das Leseexemplar von einer befreundeten Buchhändlerin in die Hand gedrückt bekommen. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Jakob Hein: WIE GRISCHA MIT EINER VERWEGENEN IDEE BEINAHE DEN WELTFRIEDEN AUSLÖSTE. Galiani Berlin, 2024.
Schreibe einen Kommentar