Ein queerer Coming-of-Age-Roman in Poetry-Slam-Sprache
„Ich will fabelhaft sein. | Ich will farbenprächtig sein. | Ich will vorführen, was ich habe. | Ich will frech sein.“
Etwas, was mich altes Ding stets berührt ist, wie selbstverständlich heute in Buchhandlungen schwule Jugendbücher präsentiert werden – ich bin in der Zeit vor Carsten Flöters Outing in der „Lindenstraße“ aufgewachsen, und es schien undenkbar, ein Buch zu finden und noch dazu angstfrei zu kaufen, in dem es um die Liebe zwischen zwei Männer ging (und als es später doch möglich wurde, starb mindestens eine Figur an AIDS; bis heute scheint sich vielerorts die Grundüberzeugung zu halten, dass Homosexualität in der Literatur einer Sättigungsbeilage aus Schmerz und Leid bedarf). Während ich also kurzentschlossen nach dem optisch vielversprechenden Roman DER SCHWARZE FLAMINGO von Dean Atta griff, tanzte auf dem Weg zur Kasse ein viel jüngerer (definitiv schlankerer!) Tim um mich herum. Und dafür hat es sich schon sehr gelohnt.
In seinem Coming-of-Age-Roman erzählt der britische Lyriker von Michael, einem schwulen Heranwachsenden mit griechischer Mutter, abwesendem Schwarzen Vater und der daraus resultierenden vielgestaltigen Problematik. Atta arbeitet routiniert die zu erwartenden Versatzstücke ab – ein wenig Gewalt und Einsamkeit hier, ein wenig Familiendynamik dort, und nachdem Begegnungen mit „Mean Girls“ und einem sexy Schul-„Jock“, der Schulterschluss mit einer anderen Nonkonformistin und der erste Sex nebst enttäuschendem Nachspiel absolviert sind, steuert die Handlung zielsicher auf den eigentlichen Höhepunkt zu: Michael wird bei einer Dragshow auftreten und dort einen selbstverfassten Text vortragen, um nachfolgend empowered und mit erhobenem Kopf in die Zukunft zu blicken.
Das Besondere an DER SCHWARZE FLAMINGO ist der Schreibstil (und das sich daraus ergebende, mit zahlreichen Illustrationen attraktiv gestaltete Satzbild): Atta wählt für seine Schlaglichtmomente eine moderne Versform, mehr Poetry Slam als Gedicht; wenn man sich darauf einlässt, verfällt man beim Lesen auch ohne Reime schnell in einen Singsang, der durchaus Spaß macht. Ob die deutsche Übersetzung von Ọlaide E. Frank den Ton immer einfängt, vermag ich in Unkenntnis des Originals nicht zu sagen – stolpere aber darüber, dass es für eine Drag Queen wichtig scheint, „frech“ zu sein … was ich mir aus dem Mund von „fierce“ RuPauls Epigonen eher nicht vorstellen kann.
Nach 360 Seiten habe ich den schön gestalteten – wenn auch durch die gummiartige Veredlung des Einbands irritierend anzufassenden – Band mit einem Hauch Enttäuschung, Wehmut und Befriedigung zugeklappt: Ein wenig hatte ich auf einen überraschenderen und erwachseneren Text gehofft, ein bisschen schmerzt es zu wissen, dass ich für dieses im Original hochgelobte Werk einfach 40 Jahre zu alt bin (given the current state of the world mag dies a blessing in disguise sein) … aber, wie eingangs erwähnt: Es bereitet mir – neben einigen wirklich intensiven und schönen Momenten in der Geschichte – große Freude, dass ein solches Buch heute zum Sortiment vieler Händler gehört!
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Dean Atta: DER SCHWARZE FLAMINGO. Aus dem Englischen von Olaide E. Frank. Katalyst Verlag, 2023
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