Ingrid Lausunds Kurzgeschichten sind oft kleine Kunstwerke – und es geht um viel mehr als Wohnen …

„Ja natürlich ist das auch nicht meine Freundin, aber ich bin schon froh, dass ich sie hab. Besser als nix. Und die sieht echt süß aus. Leider ist die Vibration kaputt, naja, das ist schade, aber gut, so ist das eben. Deswegen schmeiß ich die noch lang nicht weg, jeder hat ja seine Macken, und ich hab mich so an die gewöhnt, die sieht echt süß aus. Die Jezebel.“

Was ist das eigentlich, ein Raum? Ein dreidimensionales Konstrukt, das durch Höhe, Breite und Tiefe begrenzt wird, durch Wände beispielsweise, es sei denn, man denkt direkt eine Nummer größer und nicht an ein Zimmer, sondern den Weltraum. Aber um den soll es hier nicht gehen, sondern um jenen immateriellen Raum, den wir uns selbst geben oder nehmen können: die Freiheit oder die Einschränkung im täglichen Vor und Zurück, im nach Oben und im nach Unten des Lebens.

12 namenlose Männer und Frauen stehen, liegen, staunen und toben in schön eingerichteten Wohnungen und Warenhäusern, im Badezimmer und in einem Sarg, um ein paar Beispiele zu nennen. Sie hadern damit, wie normiert sie sich in moderne Zielgruppenanalysen einfügen; sie sind stolz, weil sie dem sozialen Aus entkommen sie; sie begrüßen eine Freundin, um einen entspannten Abend zu verbringen; sie verzweifeln in einer quälend langen Nacht.

Die (Theater-)Autorin und Regisseurin Ingrid Lausund hat unter dem Pseudonym Mizzi Meyer die Drehbücher für die TV-Serie „Der Tatortreiniger“ geschrieben, und ihr großes Talent dafür, Alltag, Tragik und Humor zu etwas zu verweben, für das die Einordnungsversuche „Sozialstudie“ oder „Sittengemälde“ zu klein sind, merkt man auch den großartigen Miniaturen in BIN NEBEAN an: Sie schaut genau hin, sie kriecht in die Figuren hinein, sie stellt ihre Absurdität, ihr Verzagen, ihre Wut, aber auch ihr kleines Glück ins Rampenlicht. Führt sie die Figuren dabei vor? Ja … und nein.

Denn was ihr auf den 183 Seiten immer wieder gelingt, ist es, blitzschnell einen Spiegel hervorzuziehen und ihn uns vors Gesicht zu halten – auch wenn wir natürlich weit von uns weisen würden, so wie die bigotte Frau zu sein, die mit ihrer kopftuchtragenden Putzfrau nicht sofort und ausschließlich über Zwangsehen und den IS sprechen will, denn man ist doch weltoffen und frei im Denken, aber sowas von … Und doch rücken die 12 Figuren sehr nah an uns heran: Lausund seziert, sie karikiert, sie wird sich sicher auch mit dem Adjektiv „bitterböse“ anfreunden können – und zugleich sind die von ihr verfassten Monologe trotz ihrer Abgründigkeit im Kern immer menschlich und daher im Zweifelsfall warm.

Einige der Texte sind brillant und es wert, wieder und wieder gelesen zu werden, nur einer hat mich eher irritiert als begeistert, was aber sofort hinfort gewischt wurde durch viele großartige Einfälle wie jenen, auf dem die Geschichte „Accessoires“ beruht. Und obwohl jeder Monolog in sich abgeschlossen ist und die Figuren in keinem erkennbaren (oder notwendigen) Zusammenhang zueinander stehen, drängt sich mir der Gedanke an einen Reigen auf, aus dem die einzelnen Figuren für ihr Solo hervortreten, um sich dann weiter im Kreis um uns zu drehen.

BIN NEBENAN ist, wenn ich das Impressum richtig interpretiere, eigentlich für eine Theaterauswertung geschrieben worden, aber diese ebenso intelligente wie kurzweilige Unterhaltung funktioniert auch perfekt in den eigenen vier Wänden und ist trotz schlanker 183 Seiten ein echtes Brett, das manche Glühbirne anknipst in unseren Denkräumen. Oder gar einen Kronleuchter? Und noch dazu ist das Buch ein Schmuckstück, so für den realen Raum, dank des blauen Farbschnitts und der hinreißenden Coverillustration von Damien Cuypers.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Ingrid Lausund: BIN NEBENAN. Henschel Schauspiel Edition, 2008; die von mir ob des Covers sehr geliebte Ausgabe: Kein & Aber Verlag, 2019