Nick Trend lädt uns mit dem Geschenkbuch WAS KUNST UNS ÜBER DIE LIEBE ERZÄHLEN KANN zu einem Streifzug durchs Museum ein.
„Eine der am tiefsten verwurzelten Konventionen ist der westlichen Malerei (und wahrscheinlich in den meisten anderen Kulturen) ist, dass Männer die Beobachter und Frauen die Beobachteten sind, insbesondere dann, wenn es um erotische Kunst geht. Es ist das männliche Faible, das bestimmt hat, wie Frauen zu posieren haben, welche Figur sie haben sollen und was sie zu tragen haben – oder eben nicht tragen sollen. | Das ist aber keine allgemeingültige Regel.“
Kunst kann rätselhaft sein. Und in leider immer noch vielen Fällen gilt das auch für ihre Vermittlung: Wie oft habe ich in Museen gestanden vor Bildern, die mich begeistert haben – nur um dann neben ihnen kaum mehr lesen zu können als den Namen des Werks, Jahreszahlen und vier akademische Sätze, die mehr Fragezeichen aus- als auflösen. Natürlich gibt es Ausnahmen, natürlich kann man sich im Nachhinein via Internet informieren. Trotzdem habe ich viele Ausstellungen mit dem Wunsch verlassen, jemand hätte mich bei der Hand genommen und mir etwas zu den Werken erklärt.
Genau dies tut nun der britische Journalist und Kunsthistoriker Nick Trend in seinem Buch WAS KUNST UNS ÜBER DIE LIEBE ERZÄHLEN KANN (fließend ins Deutsche übertragen von Ulrich Korn). In 28 Kapiteln, die einem Künstler oder einer Künstlerin gewidmet sind, gibt er uns einen kurzen Einblick in das jeweilige Werk, die Lebensumstände und den Beziehungsstatus der Menschen vor und hinter der Staffelei. So schlägt er den Bogen vom Ende des 15. Jahrhunderts, als Sandro Botticelli die schöne Simonetta Vespucci als Inspiration für sein Gemälde „Die Geburt der Venus“ nutzte, und dem Anfang des 16. Jahrhunderts, als Raffael seine Geliebte Margherita Luti im „Porträt einer jungen Frau (La Fornarina)“ sinnlich und keck für die Nachwelt festgehalten hat, bis ins 20. Jahrhundert, wo wir Niki de Saint Phalle begegnen, Otto Dix, Francis Bacon und Georgia O’Keefe.
Von Raffael bis Rubens, von Suzanne Valadon bis Frida Kahlo: Nick Trend springt in WAS KUNST UNS ÜBER DIE LIEBE ERZÄHLEN KANN vergnügt durch die Kunstgeschichte
Nick Trend ordnet die Bilder nicht chronologisch, sondern thematisch, erzählt so im Abschnitt „Liebe mit Bestand“ unter anderem von Rubens und seiner Frau Helena, in „Geheime Affären“ von Lotte Laserstein und Traute Rose oder in „Verschmähte Liebe“ von Winslow Homer und Helena de Kay.
Von letztgenannten habe ich vorher noch nie gehört, und das war für mich tatsächlich ein Highlight des Buchs: Zu den üblichen Verdächtigen wie Caravaggio, Frida Kahlo und Tamara de Lempicka gesellen sich Pauline Boty nebst Peter Blake, Sylvia Sleigh mit ihrer brustbehaarten Antwort auf das berühmte „Türkische Bad“ von Ingres, und Clifford Prince King, dessen Fotografie „Sonny und David“ von 2019 zeigen will, dass queere schwarze Männer in der Kunst die gleiche Selbstverständlichkeit haben – oder haben sollten – wie der Akt, den André Utterer 1913 von Suzanne Valadon malte.
WAS KUNST UNS ÜBER DIE LIEBE ERZÄHLEN KANN wurde nicht für Kunstexperten konzipiert oder für Menschen, die sich detailliert mit den einzelnen Künstlern beschäftigen wollen – und als Laie kann ich nicht beurteilen, ob die Farbqualität des in China gedruckten Buchs einen Kenner überzeugt.
Löst der Titel sein Versprechen ein? Ja – und nein. Neue Erkenntnisse über das vermutlich größte aller Gefühle sollte man auf den 192 Seiten nicht erwarten, es gibt aber natürlich jede Menge Momentaufnahmen aus dem Leben von Menschen, die liebten. Wie das Zitat, mit dem ich diese Rezension eingeleitet habe, schon ahnen lässt, liegt der Schwerpunkt dabei auf dem Heteronormativen und dem männlichen Blick; Nick Trend erzählt aber auch von lesbischem Begehren und von Künstlerinnen, die Männer anschauen und andere Frauen einladen, dies auch zu tun.
Wer wird sich von WAS KUNST UNS ÜBER DIE LIEBE ERZÄHLEN KANN von Nick Trend angesprochen fühlen?
Das schön gestaltete und in einen erstaunlich dicken Pappband eingebundene Geschenkbuch ist etwas für alle, die Lust haben, sich hier und da festzulesen: Nick Trend lädt uns in, an seiner Seite einen Nachmittag lang durch ein imaginäres Museum zu flanieren und eine Ahnung davon zu bekommen, welche Geschichten sich hinter bekannten und unbekannten Werken der Kunstgeschichte verbergen.
Kurzweilige Unterhaltung und Anekdoten aus der Welt der Malenden und Modelle („Die Welt ist ziemlich ermüdend“, notierte Lytton Strachey 1919: „Frauen, die sich in Schwule verlieben und Schwule, die sich in Schürzenjäger verlieren, und der Preis für Kohle steigt auch. Wo soll das enden?“) – wer ein schönes Geschenk für sich und andere sucht, liegt hier sicher richtig. Und vor allem gilt natürlich auch, was Nick Trend in seinem Vorwort schreibt:
„Egal, ob wir uns gerade erst verliebt haben, seit Jahrzehnten zusammen sind, eine Trennung durchmachen oder mit widersprüchlichen Gefühlen kämpfen: Die Kunst kann uns helfen, mit der Tiefe und Komplexität unserer Gefühle fertigzuwerden. Wir müssen nur genau hinsehen und ein wenig reflektieren. Unsere eigenen Erfahrungen können uns helfen, einige der größten Gemälde der Geschichte und das Leben, die Leidenschaft und Vorlieben der Männer und Frauen, die sie geschaffen haben, zu verstehen.“
***
Ich habe dieses Buch nicht selbst gekauft, sondern vom Verlag als Rezensionsexemplar erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Nick Trend: WAS KUNST UNS ÜBER DIE LIEBE ERZÄHLEN KANN. Aus dem Englischen von Ulrich Korn. Laurence King Verlag, 2025.
Schreibe einen Kommentar