Und nur zur Erinnerung: Trans Rights are Human Rights!

„Von den Bäumen beschirmt machen die Schwestern ihre Runde. Wie Teile eines einzigen Organismus sehen sie aus, Zellen desselben Tiers. Ihre Bewegungen die eines Rudels. Die Kunden cruisen in ihren Autos, werden langsamer, wenn sie die Gruppe entdecken, picken sich eine heraus und winken sie zu sich. Die Erwählte folgt dem Ruf. So geht es Nacht für Nacht. […] Die Schwestern […] führen ihren Zauber an der Schwelle zur Dunkelheit spazieren, vor der Dante-Statue, dem alten Denkmal, das der Allee ihren Namen gibt. Jede Nacht steigen sie hinauf aus ihrem von niemand besungenen Inferno, um der Welt den Frühling zurückzubringen.“

Es gibt AutorInnen, die setzen Brutalität und Erniedrigung detailliert und zielgerichtet ein, um uns Lesende am Leid der Figuren teilhaben zu lassen – und oft gleitet dies für mich in Torture Porn ab, eine Zurschaustellung des Extremen, die trotz ehrenwerter Motive einlädt, sich unter dem Deckmäntelchen der Betroffenheit am fremden Schmerz zu berauschen. Zu diesen AutorInnen gehört Camila Sosa Villada eindeutig nicht – und deswegen ist ihr ein Roman gelungen, den ich umso eindringlicher empfinde, der auch jenseits seiner Schockmomente in Erinnerung bleibt – und gleichzeitig eine raue Zärtlichkeit und ganz eigene Magie verströmt.

IM PARK DER PRÄCHTIGEN SCHWESTERN erzählt von Camila, einer jungen trans Frau, die aus dem brutalen Elternhaus in der argentinischen Provinz nach Córdoba flieht – zum einen, um in der Anonymität der Großstadt einen Neuanfang zu wagen (zu dem auch ein Studium gehört), zum anderen, um in ihrer Wahlfamilie die relative Sicherheit und manchmal dornige Wärme zu finden, nach der sie sich sehnt: bei den trans Frauen, die sich Nacht für Nacht im Sarmiento Park prostituieren, aber doch so viel mehr sind als Körperöffnungen und Schwellkörper, zu denen ihre Freier sie reduzieren wollen.

Die titelgebenden Schwestern – im Original übrigens LAS MALS, „die Schlechten“, was die andere Seite der Eigenwahrnehmung unsere Heldinnen ist – mögen von der Gesellschaft geächtet sein, und einige von ihnen sind sicher nicht das, was als „schön“ gewertet wird … und doch, sie sind selbsternannte wilde Göttinnen, für die sich meiner Meinung nach das ausgelutschte und im Klappentext benutzte Synonym „Paradiesvögel“ verbietet. Villada lässt keinen Zweifel daran, dass diese auf High Heels schwebenden Raubtiere jederzeit bereit ist, sich auch gegenseitig in Stücke zu reißen, aber doch durch sehr viel mehr miteinander verbunden sind als den Druck der feindlichen bürgerlichen Welt.

EIN ROMAN, DEN MAN LIEST, WIE MAN GUTE MUSIK HÖRT

Obwohl es sich bei einem argentinischen Roman nicht anzubieten scheint, musste ich beim Lesen oft an einen Fado denken, der von einer Belcanto-Stimme vorgetragen wird und sich so zwischen elegischer Klage und streng reglementierten Himmelsgesang jeder Zuordnung entzieht. Was Camila, die Matriarchin Tía Encarna und all die anderen, die in einem baccanalischen Reigen auf leider viel zu kurzen 220 Seiten an uns vorbeiwirbeln, erleben und erleiden, ist schrecklich – und doch ist es nicht eine widerwärtige Vergewaltigung, die mich am meisten mitgenommen hat: Es ist das Gefühl der Ausweglosigkeit, das sich durch das ganze Buch zieht, das innere Einverständnis damit, dass so etwas wie Glück kaum möglich und stets flüchtig ist, wenn das zuschreibende Adjektiv „trans“ ist und nicht „heteronormativ“.

Und doch, und ach, und hach, IM PARK DER PRÄCHTIGEN SCHWESTERN ist kein niederschmetterndes Buch, sondern eins von stiller Würde, trotzigem Stolz und eigentümlicher Schönheit. Camila Sosa Villada versteht sich auf die ganz großen Gesten, verwebt schon auf der ersten Seite Dantes Inferno mit dem Mythos um Persephone und definiert ihre Protagonistinnen so nicht nur als Leidensfiguren, sondern auch Lichtgestalten. Dass dann Blumen und Pflanzen ein Haus überwuchern, eine der Schwestern möglicherweise eine Werwölfin ist und eine andere ihre menschliche Gestalt schließlich ganz hinter sich lassen wird – was man als niederschmetternden Kommentar dazu interpretieren kann, was die Grenzen einer Transition sein mögen, aber auch als magischen Realismus bestaunen darf – ist ungemein brutal, aber immer von einer vibrierenden Poesie erfüllt.

APPLAUS, APPLAUS, APPLAUS!

Ein Buch wie IM PARK DER PRÄCHTIGEN SCHWESTERN kann – da verrate ich sicher nicht zu viel – kein Happyend haben. Und doch ist es ein einziger langer Gänsehaut-Garant, dieses Ende, brutal und kraftvoll, wehmütig und im Verklingen ein vielleicht lautloser Schrei, der aber auch als hochgereckte Faust verstanden werden kann.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Camila Sosa Vilada: IM PARK DER PRÄCHTIGEN SCHWESTERN. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, 2021.