In WIEDER WERDEN erzählt die Ärztin und Autorin Magdalena Gössling von den Folgen eines Schlaganfalls – und der Frage, wie man weitermacht, wenn das Leben zu sagen scheint: „Bis hierhin und nicht weiter.“
„Meine Gedanken überschlagen sich. Ich kann darauf nicht antworten, will dagegen argumentieren. Ich bin stark, will ich [meiner Kollegin] entgegenschleudern. Ich glaube daran, dass ich zurückkehren kann. Dass sie mir das nicht zuzutrauen scheint, verletzt mich. Ich bin beleidigt, fast ein bisschen trotzig. Ich möchte ihre gut gemeinten Ratschläge, mich nicht zu sehr in den Wunsch hineinzusteigern, in die Chirurgie zurückzukehren, nicht hören. Die Ratschläge, die mich davor bewahren sollen, zu scheitern. […] Ich lasse mir doch von Teja nicht die Fäden durchschneiden, die ich gerade erst gesponnen habe.“
Zeitungen, Nachrichtensendungen und andere Medien berichten von den Krisen unserer Zeit, von globalen Katastrophen, vom drohenden Untergang der Welt, wie wir sie kennen. Das ist schwer auszuhalten. Und darum verdrängen die meisten von uns so gut es geht, dass es Verwüstung auch in allernächster Nähe geben kann; wir müssen Grenzen setzen für das, was wir erfahren wollen, sonst verlieren wir den Verstand.
Eine, die dieses Privileg nicht mehr in Anspruch nehmen kann, ist Magdalena Gössling: Die Ärztin und Handchirurgin ist 32 und schwanger mit ihrem zweiten Kind, als sie durch einen Schlaganfall aus dem Leben geschleudert wird, dass sie sich aufgebaut hat. Die Fähigkeit zu sprechen, die Kontrolle über eine Körperhälfte – einfach weg. Und auch die Gewissheit, dass sie sich beides durch harte Arbeit wieder zurückerobern kann, wird schnell und oft brutal auf die Probe gestellt.
„In jeder neuen Stunde, mit jeder Ergotherapie, jeder Logopädiegruppe, jedem Schreibtraining steht es mir klar vor Augen: Der Schlaganfall hat mich im Kern erschüttert. Motorisches Geschick, Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität – alles ist vernichtend getroffen.“
WIEDER WERDEN ist ein auf vielen Ebenen beeindruckendes Buch. Allem voran steht meine tiefe Bewunderung für die schier unvorstellbare Kraftanstrengung der Autorin, sich die Sprache zurückzuerobern, im Sprechen wie im Schreiben. Ihr Blick auf sich selbst ist kühl, fast schonungslos, geprägt von Ungeduld und einer Anspruchshaltung, vor der man sie fast schützen möchte; Magdalena Gössling versteht es, uns die Frustration dessen, was wir alle hoffentlich niemals erleben werden, fast körperlich nahezubringen. Dafür verdient sie jeden Respekt, den ich ihr ebenso zollen möchte wie Gabriele von Arnim, die auf dem Einband so zitiert wird: „Filigran genau, kämpferisch und zart zugleich.“
Mehr muss man zu diesem Buch nicht sagen. Aber man kann; mit meinen folgenden Gedanken kann ich der Leistung der Autorin definitiv nicht gerecht werden, will sie aber für mich im Rahmen meines öffentlichen Lesetagebuchs – und wenn ihr wollt: für euch – zusammenfassen.
Darf man an so einem intimen Einblick in eine Krankheitsgeschichte Kritik üben?
„Die Scham stellt sich meiner sprachlichen Weiterentwicklung in den Weg“, schreibt Magdalena Gössling. „Ein Gedanke schleicht sich ein: Vielleicht ist es besser, gar nicht zu sprechen, als mir die Blöße zu geben.“ Daran muss ich denken, während ich das sehr dünne Eis unter mir knacken höre, wenn ich sage, dass mich Mut und Leistung der Autorin begeistern – mich das Buch aber beim ersten Lesen leider nicht überzeugt hat. Was vor allem daran liegt, dass ich Leser von geringem Verstand nicht verstanden habe, was ich da gerade las: einen Schicksalsbericht, ein Essay oder die literarische Aufbereitung einer Extremsituation.
Für den Schicksalsbericht bleiben Leid und Trauer meiner Meinung nach zu entfernt: Dafür kann man der Autorin dankbar sein, weil WIEDER WERDEN eben kein Tal der Tränen ist, aus dem wir keinen Aufgang finden. Wirklich mitgenommen – und auch noch Wochen nach der Lektüre in mir nachhallend – hat mich aber vielleicht zunächst nur der Versuch der Autorin, in ihren Beruf zurückzukehren. Gleichzeitig merke ich, während ich jetzt die vielen mit einem Eselsohr markierten Stellen im Buch noch einmal lese, dass ich ungerecht bin und es noch mehr Momente gibt, die lohnen, erinnert zu werden.
Sich in Form eines Essays an eine persönliche Problemstellung mit allgemeingültigem Wert heranzuarbeiten: Das ist etwas, was wenige so souverän beherrschen wie Daniel Schreiber, an dessen Büchern ich kleiner Geist allerdings abwehrend finde, da ich sie für zu gebildet halte – die Vielzahl der Zitate überwältigt mich so, dass ich mich, wo andere Trost und Zugewandtheit erfahren, in einer Lese-Duldungsstarre wiederfinde. Magdalena Gössling arbeitet anders, sie stützt sich auf weniger Quellen … aber erstaunlicherweise blieb für mich ohne die vielen Ausrufezeichen der Schreiber’schen Herangehensweise zunächst nur ein Fragezeichen.
Gäbe es hier ein Kästchen, hinter dem „literarische Aufbereitung einer Extremsituation“ steht, dort würde ich ein Kreuzchen setzen. Das unterstreicht die Qualität des Buchs, hält mich aber ebenso außen vor wie die Einbandgestaltung des Buchs. Was ich tumber Tor für einen schmutzigen Farbverlauf hielt wie auf meiner wettergegerbten Lieblingssitzmöglichkeit am Viktualienmarkt, ist ein Kunstwerk von Wolfgang Tilmanns, das für die Autorin von großer Bedeutung ist. Die kann ich, wenn sie mich dorthin führt, nachvollziehen … und dann eben auch wieder nicht.
Magdalena Gössling erzählt in WIEDER WERDEN von ihrem Leben – und es ist nun wirklich nicht ihr Problem, ob ein einzelner Leser sich davon nicht mitgenommen fühlt …
Fremdle ich vielleicht deswegen mit WIEDER WERDEN, weil ich mich in der Overperformance-Verliebtheit der Autorin, die vor dem Schlaganfall Teil ihres Selbstbildes ist und ihr danach immer wieder zum Stolperstein wird, zu sehr wiederfinde – und Magdalena Gössling mir mit ihrem Buch, das sicher dazu gedacht ist, Hoffnung zu geben, vor allem Furcht einflößt?
„In der Auseinandersetzung mit meinen Defiziten würde ich erst nach und nach andere Denkansätze zulassen. Den Selbstwert nicht an Schnelligkeit und Leistung zu binden, ist für mich immer noch ein Lernprozess“, schreibt die Autorin an ihre Lesenden gewandt (und somit auch an mich angstschlotternden Knilch). „Was es bedeutet, in einer auf Leistung, Umsatz und Wachstum getrimmten Welt schwer zu erkranken, das konnte ich vor meinem Schlaganfall nicht ermessen.“
Denken macht das Leben schöner, und wer mir in dieser Gedankensammlung bis hierher gefolgt ist, kann sich nun anschnallen – eine 360-Grad-Wendung gibt es zwar nicht, aber nachdem ich mich noch einmal durch WIEDER WERDEN gelesen habe, kann ich mit etwas Abstand die Heldinnenreise dieser realen Geschichte doch sehr viel mehr schätzen – und möchte das gerne an diesen drei Textstellen festmachen:
„Wer bin ich jetzt? Ich versuche, meiner inneren Stimme zuzuhören“, verrät die Autorin auf Seite 40, „aber der Lärm um mich herum und in mir selbst ist noch zu groß.“
Wenn wir einen großen Sprung machen, landen wir auf Seite 163 und bei: „Vielleicht ist es gar nicht mutig, einen neuen Weg einzuschlagen, sondern einfach nur feige. Leistung zu erbringen, nicht zu empfangen, bedeutet Ansehen. Ich habe Angst vor dem Statusverlust.“
Und das führt uns im Schnellvorlauf, vorbei an Seite 178 („Das Hochgefühl beim Schreiben erinnert mich an das Glück, das ich beim Operieren empfunden habe. Herz, Hand und Verstand arbeiten gleichzeitig.“), zur letzten des Buchs:
„In meinem Leben existiert der Gegensatz krank/gesund nicht mehr. Ich bewege mich in einem Kontinuum. Die Unfähigkeit, bestimmte Dinge zu tun, ist Teil von mir geworden. […] Ich lerne und entdecke neue Stärken. Ich lächle. Ich weine. Ich schreibe. […] Ich gebe meine Geschichte frei.“
Und dafür kann es nur eins geben: ein geneigtes Haupt und Applaus.
***
Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern von einer Freundin beim Verlag mit einem „Der Jung soll mehr Sachbuch lesen, das soll er, der Jung“ in die Hand gedrückt bekommen. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.
Magdalena Gössling: WIEDER WERDEN. Eine Geschichte über Verlust und Neuerung. Rowohlt, 2025.


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