Wäre dieser Roman bei einem „großen“ Verlag erschienen, jeder würde ihn kennen
„Als der Journalist wieder gegangen ist, lege ich mich auf das Sofa und denke, dass ich mir vielleicht kein größeres Glück vorstellen kann, als hier zu liegen und die Zeit davonfließen zu lassen. Das Licht, das durch das Wohnzimmer fällt. Meine Zehe im warmen Sonnenlicht. Doggy, der in der Nachmittagssonne eingeschlafen ist und im Traum immer wieder ein kurzes Fiepen verlauten lässt. Das Glück ist am schönsten, wenn man es in der Brust fühlt wie eine hauchdünne Seifenblase – bloß ein wenig aufgeschäumtes Spülwasser –, die sich im nächsten Augenblick in Nichts auflöst. Muss das Glück denn aus etwas mehr bestehen? Ich glaube nicht.“
Dass die Bestsellerliste nur teilweise durch die Gunst der Lesenden bestimmt wird, sondern maßgeblich die Vertriebspower der Verlage und deren Standing im bestellenden Buchhandel abbildet, beweist ADAM IM PARADIES von Rakel Haslund-Gjerrild – wäre dieser Roman bei Hanser erschienen, er wäre allüberall präsent. Umso mehr Applaus für Albino, wo man den Mut, die verlegerische Weitsicht oder beides hatte, dieses literarische und dabei so zugängliche Werk aus dem Dänischen ins Deutsche übertragen zu lassen; herzlichen Dank in diesem Zusammenhang auch an die Danish Arts Foundation, den Deutschen Übersetzungsfond und den Senat Berlin, die ebendies ermöglicht haben.
Auf 326 Seiten zeichnet die Autorin Stationen aus dem Leben des Künstlers Kristian Zahrtmann (1843–1917) nach, während er sich über seine Haushälterin ärgert, einen Maskenball besucht, die einen Menschen bewirtet und die anderen aus seinem Leben zu schneiden versucht … und noch dazu an einem seiner bekanntesten Gemälde arbeitet: „Adam im Paradies“ Dazwischen geschnitten sind historische Dokumente über die sogenannten Sittlichkeitsprozesse der Jahre 1906/1907, in denen die Homophobie (nicht nur) der damaligen Zeit ihre kaltherzig nach „Anstand“ geifernde Fratze zeigte; die dafür vom Verlag bis in den Anschnitt grau unterlegten Seiten gehören wie der bedruckte Vorsatz, das Lesebändchen sowie der perfekt veredelte (und wie ich finde ideal vom dänischen Original abweichende) Schutzumschlag zu den herstellerischen Highlights dieses Hardcovers, für die man erneut die Albino-Mannschaft und den im Impressum genannten Robert Schulze umarmen sollte.
Als Leser von geringem Verstand hatte ich beim Lesen oft selbst den Eindruck, mich in einem mit üppigen Farben und perfekt gesetzten Pinselschwüngen gemalten Historiengemälde wiederzufinden: Es ist ein großes Vergnügen, sich in diese Szenen fallen zu lassen, ganz egal, ob mit schwelgerisch-barocker Pracht ein Garten vor unserem inneren Auge erblüht oder wir dabei sein dürfen, wenn auf der Promenade zwischen der Piazza Grande und der Piazza de Giglio „klirrende Küsse [erklingen], welche die Kaffeetassen mit ihren Untertassen tauschen“ und ein zufälliger Blick die Gebäude schwanken lässt. Der Grad zwischen stilistischer Finesse und dem Absturz in die „Overwritten“-Hölle ist bekanntlich schmal, aber je üppiger hier die Sprache wurde, umso häufiger habe ich mich dabei ertappt, noch einmal ein paar Sätze zurückzuspringen und sie wieder und wieder … zu lesen? Ach was: zu genießen! Dass wir Rakel Haslund-Gjerrild in Ermangelung der entsprechenden Fremdsprachenkenntnisse als Riesentalent erkennen dürfen, verdanken wir ihrem Übersetzer Andreas Donat; man kann nur staunen, mit welcher Intensität er den Text schillern und dabei doch elegant fließen lässt (und fragt sich noch dazu, ob Zeit und Raum aus den Angeln gehoben wurden, scheint er doch selbst Modell gesessen zu haben für das titelgebende Gemälde).
ADAM IM PARADIES lädt dazu ein, sich parallel zur atemlosen Lektüre auf weitere Spurensuche zu begeben und mehr herauszufinden über tragische Nebenfiguren wie den Schriftsteller Hermann Bang oder Zahrtmanns Herzensfigur Leonore Christina Ulfeldt, um nur zwei zu nennen … und erwähnte ich bereits, wie man sich in der Sprache und in der (nach)klingenden Bildgewalt der Autorin verlieren kann, wenn zum Beispiel „der Gedanke an die Enttäuschung, die sich nun Frau Hessellunds bemächtigte, die ganze Villa mit zarter Wehmut erfüllt, und es ist, als gingen Gardinen, Truhen, Regale, Gemälde und ich ganz leicht in die Knie, bereit, Frau Hessellund aufzufangen, wenn sie fällt“. Zahrtmann wird nicht verklärt, seine fragwürdige Einstellung gegenüber Frauen scheint ebenso durch wie die Geziertheit des an Allerlei leidenden, dabei aber höchst privilegiert lebenden Künstlers – und doch kann man nicht anders als zum Parteigänger zu werden für diesen in seiner Zeit gefangenen Mann, der sich nach Schönheit und Pracht sehnt, aber damit aufgewachsen ist, hässlich genannt zu werden. Seinen Gästen schenkt er zum Abschied stets eine Orange, in der damaligen Zeit vermutlich noch ein verschwenderischer Luxus, um mit dieser Gabe die Erinnerung an seinen optischen Makel und die Verheerung des Alters zu übermalen; ich empfinde es als große Kunst, wie hier ein Akt der Selbstermächtigung gefeiert werden kann, ohne dem auf das eigene Herz zielenden Dolch die grausame Schärfe zu nehmen.
Rauschhaft, sinnlich, immer wieder brutal und vor nicht nur melancholischem Begehren vibrierend: Was für ein Buch, was für ein Genuss. Meine Handlungsaufforderung an euch? LESEN!
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Rakel Haslund-Gjerrild: ADAM IM PARADIES. Aus dem Dänischen von Andreas Donat. Albino Verlag, 2023
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