Alles wie immer in Teil 3 – und damit reicht es dann auch

„Vor Kurzem hat mich jemand gefragt, was ich mir am meisten wünsche. Und mein erster Gedanke war: Ordnung. Ich weiß, das klingt langweilig und ziemlich banal. Aber es stimmt.“

One More Time! Felix Lipfels ist zurück. Und obwohl ich in den ersten Bänden dieser schwulen Coming-of-Age-Trilogie mit der Hauptfigur fremdelte (um nicht zu sagen: die vom Verlag im Klappentext als Antiheld gerühmt verkorkste Arschkrampe ist mir massiv auf die Nerven gegangen), habe ich mich auf das Wiedersehen gefreut – und kam beim atemlosen Lesen nicht umhin, mir einmal mehr die Frage zu stellen: Ist der Berliner Autor Julian Mars das „secret love child“ von Armistead Maupin und Tim Kruger?

Mars erzählt in seiner buchgewordenen Telenovela ebenso schwungvoll wie routiniert von den neuen Leiden des jungen Lipfels – und bedient sich einmal mehr seiner Montagetechnik, um zur Steigerung der Spannung zwischen den Zeitebenen hin- und herspringen zu können. So erfahren wir direkt zu Beginn, dass es zwischen Felix und seiner allerbesten Freundin Emilie zum Bruch gekommen ist … und er ihrer Meinung nach in zehn Tagen den größten Fehler seines Lebens begehen wird. Welcher das sein könnte? Fast egal, denn Felix trifft oft mit schlafwandlerischer Sicherheit die falsche Entscheidung.

Obwohl in WAS WIR SCHON IMMER SEIN WOLLTEN alles wild und queer durcheinandertrubelt, erzählt Mars eine konservative Geschichte: Es werden die Weichen für die Zukunft gestellt, indem sich Paare finden, Familien gegründet und Geschäfte aufgebaut werden; es gibt Träume, die beerdigt werden müssen (und Personen noch dazu), den halbherzigen Versuch einer „offenen“ Beziehung (die, anders als die erprobte patriarchale Tradition des fremdgehenden Mannes, fast CSU-esque betrachtet wird), eine Liebe, die so unwahrscheinlich erscheint, dass der Spatz in der Hand doch attraktiver sein muss als die Taube auf dem Dach … und neben unauffälligem Corona-Zeitkolorit die geschmacklose Holocaust-Anspielung einer Figur, die möglicherweise auch mit 25 Fragen nicht aus der Welt gesödert werden kann.

Mars verwebt seine vielen Fäden souverän, bewährt dialoglastig und gelegentlich redundant, lässt manche an den Enden vielleicht etwas ausfransen, betreibt aber dankenswerten Fanservice – so gibt es Gastauftritte sämtlicher Figuren, die in den vorangegangenen Büchern eine Rolle gespielt haben (wobei mein Herz besonders für Hugo schlägt), mindestens eine ungeahnte Offenbarung und … Sex. Nicht so viel und ganz sicher nicht so spicy, wie man(n) erwarten würde – oder erhofft hätte? –, aber doch zumindest solchen, der nicht wie im ersten Roman mit dem Tatbestand der Nötigung flirtet.

In Zeiten von HEARTSTOPPER und SEX EDUCATION auf der einen und den meiner Meinung nach eher fragwürdigen Gay-Romance-Romanen von Frauen für Frauen auf der anderen Seite könnte die testosterongetriebene Felix-Trilogie von Julian Mars aus der Zeit gefallen wirken. Vielleicht ist sie das auch mit ihrem vor allem um die Befindlichkeiten der Hauptfigur kreisenden „Hach je“ und „Ach, nee“, dem eher nicht ironischen Einsatz von Klischees und dem fleißigen Abhaken von Themen, die unbedingt auch noch erwähnt werden müssen (dadurch auf mich aber manchmal wirkten wie die zumeist nicht überraschende Choreographie eines Pornos).

Und trotzdem, und jawohl, und Hurra: Ich bin wirklich froh, diese drei Romane gelesen zu haben, die mich nicht immer dort abgeholt haben, wo ich wollte, aber durchaus immer wieder dort hingebracht haben, wo ich mich wohl fühlte (und ein oder zweimal auch sehr gezwickt haben, wenn mir ein „Nee, das ist jetzt zu konstruiert!“ auf den Lippen lag, nur um dann an eher unrühmliche Momente meiner eigenen Biographie erinnert zu werden). Darum danke, lieber Julian Mars; danke, lieber Albino-Verlag, dass ihr diese drei mainstreamigen Bücher gemacht habt, die in Mainstream-Verlagen übersehen worden wären; und … ja … danke, lieber Felix Lipfels, du nervige, verkorkste und möglicherweise doch irgendwie liebenswerte Arschkrampe.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Julian Mars: WAS WIR SCHON IMMER SEIN WOLLTEN. Albino Verlag, 2022