Obwohl man weiß, dass man wieder komplett überrascht wird, kommt dies … überraschend
„Jackson Lamb glaubte nicht an Omen. Ein Bauchgefühl rührte bei ihm für gewöhnlich daher, dass er besagten Bauch misshandelt hatte, obwohl dieser derart an seinen Lebensstil gewöhnt war, dass er wahrscheinlich Unkrautvernichter hätte hineinschütten müssen, um eine Reaktion hervorzurufen. Dennoch missfiel ihm die Art und Weise, wie sich dieser Tag anließ.“
Hätte mir vor einigen Monaten jemand gesagt, dass ich begeistert eine Krimiserie lesen und mir die Einzelbände sorgsam einteilen würde, um länger etwas davon zu haben, hätte ich es nicht geglaubt – aber das war, bevor ich Mick Herron und das „Slough House“ kennengelernt habe, jenes verrottete Gebäude, in das der britische Geheimdienst seine Mitarbeitenden abschiebt, die zur Kündigung motiviert werden sollen … und stets in brisante Ermittlungen verstrickt werden.
Zugegeben: Dass Band 3 nach einem mörderischen Prolog wieder mit einer literarischen Kamerafahrt begann, hätte bei mir statt Begeisterung auch Langeweile auslösen können, denn inzwischen weiß ich, was für ein versierter Autor Mick Herron ist, der seine klassischen Genrestoffe stets zu strahlenderen Lesehighlights veredelt. Aber bevor dieses Gefühl sich manifestieren konnte, wurde es davongefegt durch die einsetzende Action und ein komplexes Intrigenspiel, das immer neue Volten schlug. Und dass Diana Travers, die Vizechefin des MI5, diesmal möglicherweise nicht die kaltblütigste Figur ist, sagt schon alles …
REAL TIGERS, 474 Seiten lang und fließend übersetzt von Stefanie Schäfer, ist eine gelungene Fortsetzung, obwohl (oder gerade weil) sie der Grundkonstruktion nichts Neues hinzufügt – einmal mehr ist bei dieser halsbrecherischen Jagd nichts so, wie es scheint; die „Bösen“ sind sehr böse, dabei aber auf kaltglänzende Art faszinierend, die „Guten“ nicht wirklich gut, zumal durch allerlei Lebensproblematiken gemangelt … und Jackson Lamb darf weiterhin der allergrößte Kotzbrocken sein und häufiger furzen als eine Kuh.
Wollte man Kritik anbringen, dann könnte man anführen, dass der Autor es sich mit dem anfänglichen Alleingang von River Cartwright etwas zu einfach macht, um den Stein ins Rollen zu bringen, und dass er zu viel Energie darauf verwendet, Roderick Ho zu einem Unsympathen zu stilisieren. Aber fällt das, wie der diesmal gefühlt höchste Body Count, ins Gewicht? Nö. Die Jackson-Lamb-Krimis sind einfach ein Vergnügen, vermutlich auch für erfahrene Spannungs-Leser und definitiv für einen Gelegenheitstäter wie mich.
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Ich habe dieses Buch von einem Freund geschenkt bekommen, der beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Mick Herron: REAL TIGERS – Ein Fall für Jackson Lamb. Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. Diogenes Verlag, 2020
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