Ich habe keine aktuellen Erfahrungen mit Kinderbüchern – aber dieses mochte ich
„Merk dir, wie die Ebene hier riecht, wie die Sterne in der Nacht stehen, wenn du zu ihnen aufblickst, und wo die Sonne aufgeht, dann findest du immer zur Herde zurück.“
Die Weiten der Mongolei in jener Zeit, die Menschen „1960“ nennen – aber so eine Zahl hat für Mori keine Bedeutung: Der junge Hengst ist voller Vorfreude auf das Große Rennen, an dem er mit seinem Zweibeiner Yul teilnehmen will. Doch stattdessen findet Mori sich in einem Zug wieder, mit dem hunderte Pferde ins kriegsüberzogene Nordvietnam gebracht werden. Mori gelangt die Flucht, aber wie soll er in einem fremden Land überleben, in dem Feuer vom Himmel fällt, die Menschen mit Metallkugeln aufeinander schießen und im Fluss Krokodile lauern? Zum Glück findet Mori eine Freundin, die Vogeldame Chau – und macht sich mit ihr auf den langen, gefahrvollen Weg nach Hause …
Die für historische Bestseller bekannt Autorin Tanja Kinkel recherchierte in der Mongolei für ihren Roman MANDUCHAI: DIE LETZTE KRIEGERKÖNIGIN (den ich, nebenbei bemerkt, sehr empfehlenswert finde), als sie in einem kleinen Museum ein ausgestopftes Pferd entdeckte – die Überreste jenes schwarzbraunen Hengstes, dem es angeblich gelang, von Nordvietnam in die Mongolei zurückzukehren. Dies inspirierte sie zu ihrem dritten Kinderbuch, das ich mit Vergnügen gelesen habe, auch wenn ich dem vom Verlag empfohlenen Lesealter „ab 10“ zumindest körperlich entwachsen bin.
Tanja Kinkel erzählt die Geschichte von Mori und Chau geradlinig und im Kontext einer Tiergeschichte „realistisch“, was bedeutet, dass Fleischfresser hier weder zu Veganern mutieren noch der junge Hengst die Strapazen der über 3.000 Kilometer locker wegsteckt. Die beiden sympathischen Hauptfiguren begegnen wenigen Menschen, aber umso mehr Tieren, vom asiatischen Elefanten Bonjour bis zu einem übellaunigen Gobibären, von einem freundlichen Jangtse-Flussdelfin bis zu Kranichen, die – nebenbei bemerkt – geflügelte Arschgeigen sind.
Spannend wird’s (in sehr kindgerechten Maßen), wenn Mori einen kriegsmüden Soldaten vor seinen Häschern und ein kleines Mädchen vor einem hungrigen Tiger retten muss, aber vor allem lebt das von Suzie Mason liebevoll illustrierte Buch von der Gutherzigkeit Moris und den hübschen Ideen der Autorin. Mein Favorit: Die Gürteltier-Variante der „großen Tiersprache“, bei der jedes Wort eines Satzes mit dem gleichen Buchstaben anfangen muss, während Affen zum Reimen neigen – und Kamele finden, dass man mit Worten so sparsam umgehen sollte wie mit Wasser in der Wüste.
Wer diese Zeilen liest, gehört vermutlich so wenig wie ich zur primären Zielgruppe, liegt mit diesem Buch als Geschenk für kleine Lesebegeisterte aber sicher richtig. Und ohne irgendeine Ahnung davon zu haben, kann ich mir gut vorstellen, dass sich die 15- bis 20-seitigen Kapitel gut zum Vorlesen eignen. Die Befürchtung meines Mannes, dass ich mich nun doch noch zum Pferdemädchen entwickle, sind trotz meiner großen Sympathie für den Stoff nicht wahr geworden; dafür freue ich mich umso mehr auf den nächsten „erwachsenen“ Roman von Tanja Kinkel, der sich vielleicht wie SÄULEN DER EWIGKEIT und DAS SPIEL DES NARREN zu meinen All-Time-Favorites gesellen wird.
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Tanja Kinkel: DAS PFERD DER WINDE. Magellan Verlag, 2024
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