Kann ein Buch, in dem es vor allem um Trauer geht, glücklich machen?
„David guckt hoch, sieht Kingas roten Augen und die glänzenden Wangen, blickt in ihre wunde Seele und versteht, dass dort nicht die Stärke ist, die er von ihr kennt, und dass sich dort nicht sein Schmerz spiegelt, sondern sie ihren eigenen unter Kontrolle hält. Gerade so. Vielleicht kann sie ihn nur halten, weil sie sich gleichzeitig an ihm abstützt.“
Und dann ist sie plötzlich tot: Katha, die Frau von David und die beste Freundin von Kinga. Eine Straße, ein Auto, ein Baum, und nichts ist mehr so, wie es vorher war. David, der nie eine andere Frau geliebt hat als seine, steht fassungslos vor dem, was von seinem alten Leben noch übrig ist. Und Kinga? Die hat neben Katha im Auto gesessen. Die war bei ihr, in diesem letzten Moment. Und fühlt sich seitdem so allein wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Wer nun denkt: Puh, nee, das ist mir zu tragisch – der irrt. Denn die Geschichte, die Fabian Neidhardt in seinem dritten Roman erzählt, beginnt traurig, und sie bleibt es auch; gleichzeitig in ENDLOSSCHLEIFENTAGE aber die Art von Buch, von dem wir uns einwickeln lassen können wie mit einer warmen Decke. Der Autor erzählt von mannigfaltigen Abschieden, von den Fallstricke einer Freundschaft (und später auch einer Freundschaft-plus) und davon, wie es sich anfühlen kann, wenn man nach vorne schauen soll und muss, obwohl man das, was gerade noch war, nicht aus dem Blick verlieren will.
ICH VERSUCHE JETZT, NICHT NUR FANBOY FÜR FABIAN NEIDHARDT ZU SEIN, SONDERN OBJEKTIV ZU BLEIBEN
Zugegeben, einen ganz genauen Realitätscheck würde ENDLOSSCHLEIFENTAGE vielleicht nicht bestehen, denn dafür sind alle Figuren zu sympathisch, insbesondere in den Momenten, in denen sie sich selbst an ihren Sollbruchstellen schneiden. Das gilt besonders für Kinga, die kaum etwas so sehr braucht wie die Nähe der Menschen, die sie liebt, und sie gleichzeitig oft nicht erträgt. Oder David, für den Kathas Tod nicht der einzige Schock bleiben wird, der alles verändert, was ihm je Sicherheit gegeben hat. Und dann ist da noch Marie, die Tochter des Totengräbers, die bei der Trauerfeier ohne nachzudenken die Hand nach Davids ausstreckt – um ihm Trost zu spenden, ja. Aber auch, weil sie sich gerade selbst an jemandem festhalten muss? (Ihr könnt es euch denken: Ich verrate es an dieser Stelle nicht).
Macht es sich Fabian Neidhardt zu leicht, indem er in seinem Triptychon der Traurigkeit auf Gegenspieler verzichtet und die Nebenfiguren – wie Davids Chefin, Kingas Ex-Boss und Maries Bruder – durch ihre Herzensgüte geradlinig zum ebenso schwung- wie gefühlvollen Handlungsablauf beitragen? Vielleicht ja. Und vielleicht auch nicht, denn der kurze Auftritt von Kingas Eltern zeigt, dass Aggressoren in manchen Geschichten zwar eine wichtige Triebfeder sind – in dieser hier wünscht man ihnen herzlich nur das Allerschlimmste und ist froh, dass sie nie wieder auftauchen.
KEINE ANGST VOR GROSSEN GEFÜHLEN
Trotz dem eindringlichen Gefühl von Trauer, das einen Großteil von ENDLOSSCHLEIFENTAGE durchweht, hat der Autor ein Buch geschrieben, das uns immer wieder ein Lächeln, ein Aufatmen, einen schönen Augenblick schenkt. Seien es die Jam Session oder die Konzerte an ungewöhnlichen Orten, ein Flirt, der zeigt, dass Hormone auch in falschen Momenten zum Richtigen führen können, selbst eine (zugegeben: absolut unrealistische … but who cares?) Outdoor-Übernachtung: Fabian Neidhardt hat einen jener Romane geschrieben, die zwar traurig sind, bei denen wir aber trotzdem das Gefühl haben, auf einem weiten Feld zu stehen, die Arme auszubreiten und die Welt umarmen zu können. Es ist schwer, wirklich schwer, auf der großen Klaviatur der Gefühle zu spielen, ohne in den Kitsch abzuschweifen – und gleichzeitig jene Vorstufe zuzulassen, die den besonderen Schmelz mit sich bringt. Neidhardt kann das. Potzblitz, und wie er es kann!
Applaus hat auch die Herstellung des Verlags verdient, denn der Kontrast des veredelten Schriftzugs auf dem matten Einband, das Lesebändchen und das sehr (SEHR!) schöne Vor- und Nachsatzpapier machen ENDLOSSCHLEIFENTAGE zu einem wirklichen Vergnügen.
Der Roman endet … okay. Tatsächlich war ich kurz irritiert, dass auf Seite 300 etwas überraschend das Nachwort des Autors kommt, dass ich eher pflichtschuldig las. Und fast hätte ich das Buch danach zur Seite gelegt – was ich hier vor allem deswegen erwähne, damit ihr es nicht versehentlich macht: ENDLOSSCHLEIFENTAGE hat, in der mir ja durchaus bekannten Tradition eines Marvel-Film-Abspanns (oder früher eines Hidden Tracks auf Musikalben), doch noch ein letztes Kapitel. Und das sorgt dafür, dass ich mich frage, ob er eigentlich ein Sauhund ist, dieser Fabian Neidhardt, der sich so gekonnt auf das beherzte Drücken aller emotionalen Knöpfchen versteht … oder ob er aus genau diesem Grund ein Autor ist, den man hochleben lassen sollte.
Ich entscheide mich für letzteres: ENDLOSSCHLEIFENTAGE ist ein wunderbarer Roman, Balsam für die Seele aller, die in der aktuellen politischen Lage in eine Geschichte sinken wollen, die davon erzählt, was wirklich wichtig ist im Leben.
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Fabian Neidhardt, ENDLOSSSCHLEIFENTAGE. Haymon, 2025.
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