Ein kraftvoller Roman, der mich zwischendurch verlor, aber nie losgelassen hat

„Ich brauchen keine Moët. Ich trinke Cola aus der Zweiliterflasche und schreie mein Glück durch den Hof. Mein Herz rast, und die Motoren auf der Frankfurter bollern und knallen wie Champagnerkorken. Aylins Mutter fragt, wer dran war, und ich grinse: ‚Hollywood, du Arsch.‘ – Sollen die doch alle denken, was sie wollen. Glück lässt sich von Pisse im Treppenhaus nicht abschrecken, Glück findet von Zeit zu Zeit sogar in den achtzehnten Stock.“

Hin und wieder liest man ein Buch, da denkt man „Hoppla“ und „Ui“, und auch wenn man am Ende das Gefühl hat, es nicht immer verstanden zu haben, trägt dieses Fragezeichen ein Krönchen. So geht es mir mit ACHTZEHNTER STOCK von Sara Gmuer. Auf dem Umschlag teilt uns Mareike Fallwickl mit, dass sie den Roman „hart und rau und schön“ empfindet – und auch, wenn wir möglicherweise eine andere Definition von „schön“ haben, kann ich diese drei Adjektive unterstreichen.

Worum geht’s? Wanda, hoffnungsvolle/lose Schauspielerin, steht nicht auf den Bühnen dieser Welt, sondern lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie in einer „Berliner Platte“, wo sie vom 18. Stock aus Fernsicht, aber wenig Perspektive hat; daran ändert auch die engmaschige Frauengemeinschaft im Haus nichts, zumal Wanda sich nicht einmal die Mühe macht, die Mutter der besten Freundin ihrer Tochter anders als mit dieser Funktionsbeschreibung zu belegen. In schneller Reihenfolge folgen Wandas potentieller Durchbruch in einer Netflix-Produktion, eine lebensbedrohliche Krankheit und weitere Schicksalsschläge, von denen einer der heißesten deutschen Filmstars nicht unbedingt der harmloseste ist …

(Meine Gedanken zum Buch lassen sich nachfolgend nicht ohne leichte Spoiler zusammenfassen.)

Sara Gmuer schreibt dicht und mit schneller Taktung, und das ist immer wieder ein großes, weil mitreißendes Vergnügen: ACHTZEHNTER STOCK hat sich für mich wie ein Strudel angefühlt, der mich immer tiefer in die Geschichte gesogen und auch dann nicht losgelassen hat, wenn die Hauptfigur jede Bodenhaftung zu verlieren scheint. Anders als Lars Amend, der sich im Klappentext damit zitieren lässt, dass er „jede einzelne Seite“ liebt, ist mir die Begeisterung zwischenzeitlich etwas abhandengekommen, etwa bei der Darstellung der Dreharbeiten oder beim Hotel-Intermezzo. Und ja, während ich es durchgehend großartig finde, dass Gmuer ihre Hauptfigur nicht mit Samthandschuhen anfasst (und der Roman meiner Meinung nach zu größter Form aufläuft, wenn man sich deswegen mit ihr solidarisieren kann), fremdelte ich mit einigen Entscheidungen von Wanda.

WER SAGT, DASS MAN EINE PROTAGONISTIN IMMER MÖGEN MUSS?

Aber vermutlich – vermutlich sicher – ist das eins der Qualitätsmerkmale von ACHTZEHNTER STOCK: Sara Gmuer macht es uns möglich, ihre Protagonistin ins Herz zu schließen, sie verlangt es aber nicht von uns; die Autorin lässt uns zum Beispiel auch den Freiraum, Wandas Verhältnis zu den Frauen in ihrem Umfeld anders zu sehen, als die Figur das tut.

Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass ACHTZEHNTER STOCK nicht mit einem klassischen „Happy ever after“ endet; das wäre auch unpassend für ein Buch, das sich den Vorwurf gefallen lassen muss, der „neuen Lust am Prekariat“ zu frönen, wobei dies für viele Lesende heute sowieso ein Qualitätsprädikat ist. Mich hat es zu meiner eigenen Überraschung nicht gestört. Das liegt vor allem daran, mit wie viel Kraft Sara Gmuer abliefert, und dass der Text selbst in den wenigen für mich nicht zugänglichen Stellen immer lebensecht bleibt.

Wenn ich mich nun, mit einigen Wochen Abstand, an das Buch zurückerinnere, dann ist es für mich spannend, wie intensiv die Erinnerung an die Szenen im Krankenhaus noch sind bei mir – und das Vergnügen daran, wie die Autorin aber auch die flirrenden Figuren in einem Nobelrestaurant seziert, ohne sie auseinanderzunehmen.

Ob der letzte Satz, mit dem uns die Autorin auf Seite 220 aus der Geschichte kickt, nun begnadet schnoddrig ist oder vielleicht ein bisschen aufgesetzt im Wunsch, den Roman nach der unnachgiebigen Nahaufnahme doch noch zur allgemeingültigen Außenseiter*innenballade zu adeln, das müssen alle Lesenden für sich selbst beantworten. Ich zumindest merke, während ich meine Gedanken hier zusammenfasse, dass das Fragezeichen, dass ich eingangs erwähnt habe, das Krönchen im positiven Sinne zurecht trägt. Und es ist ein großes!

Ich habe dieses Buch als Leseexemplar vom Verlag erhalten; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Sara Gmuer: ACHTZEHNTER STOCK. hanserblau Verlag, 2025