Die Fortsetzung von „Wie man mit einem Mann unglücklich wird“ überzeugt mich leider nicht

„Ja, vergleichsweise geht es mir prächtig. Es stimmt. Meine Mutter lebt, mein Rubel rollt. Ich habe nur ein Problem, und zwar: immer an der falschen Adresse die falschen Dinge einfordern. [… … …] Ich habe wirklich NIEMALS darum gebeten, mich abwechselnd wie die Hauptdarstellerin in einem Zombie- oder einem Rainer-Werner-Fassbinder-Film zu fühlen. Alles, was ich wollte, war ein schönes Leben mit einem lieben Mann. – Zu Hause siehts mal wieder schlimm aus. ‚Ist die Spülmaschine kaputt‘, fragt Mr. X, der auf ein Käsebrot bei uns vorbeischaut. – ‚Nein, aber die Spülmaschinistin‘, antworte ich.“

Man liest ein Buch immer so, wie man es lesen kann in der Situation, in der man sich gerade befindet – und von daher fällt es mir schwer, meine widersprüchlichen Gedanken zum neuen Werk von Ruth Herzberg zu ordnen. Denn: Den Vorgänger, WIE MAN MIT EINEM MANN UNGLÜCKLICH WIRD, habe ich urlaubsvollentspannt hoch über dem Gardasee genossen, während mir DIE AKTUELLE SITUATION nun in einer Lebensphase begegnet, die ich in ein paar Jahren vermutlich zu „spannend und richtungsweisend“ verklärt haben werde. Es sagt also vermutlich mehr über mich als über dieses 243 Seiten starke Taschenbuch aus, wenn ich für den Moment festhalte, dass es mir nicht gefallen hat.

Und damit geht es schon los, denn das ist nur die halbe Wahrheit. Es gibt in diesem temporeich sprudelnden Buch viele Gedanken und prägnante Sätze, die ich in ihrer geballten Galligkeit schlau und bewundernswert finde – alltime favorite as of now: „Man kann den Phönix aus der Asche holen, aber nicht die Asche aus dem Phönix.“ Noch dazu schreibt Ruth Herzberg oft so dicht, dass es ein Vergnügen ist, sich mit einiger Konzentration in ihre kratzig-wilde Gedankenwelt hineinzudrehen (hineindrehen zu müssen), um nichts zu verpassen. Aber genau das wurde für mich zum Stolperstein, denn ich habe es als zunehmend anstrengend empfunden, mich den Abgründen der Erzählerin zwischen Liebessuche, Alltagswahnsinn mit und ohne die Kinder Spongebob und Patrick, Reisen nach Paris und Besuchen im Camp eines Lebensreformer-Kults zu stellen, die sie mit einer Hemmungslosigkeit auskostet, bei der offen bleibt, ob hier eine selbstbewusste und -ironische Täterin mit der großen Geste einer Diva spricht oder ein Opfer, das in der Selbstaufgabe einer nichtreligiösen Märtyrerin Erfüllung findet.

Um den mannigfaltigen Fragestellungen eine weitere hinzuzufügen: Ist das nun Fiktion, Autofiktion oder möglicherweise noch etwas ganz anderes … und inwieweit kann, soll oder muss dies mitgelesen werden? Fest steht, dass in DIE AKTUELLE SITUATION selbst Nervenzusammenbrüche ein Schleudertrauma bekommen, und wenn ich Lesender von geringem Verstand mit der – nennen wir sie mal ambivalenten – Haltung der Hauptfigur zur Corona-Situation konfrontiert werde, schmirgelpapiert das sehr: Ist dies die Sicht der Autorin, ein intellektuell vermutlich schlauer Kommentar zum Wechselbad der Gefühle, dem viele von uns in den letzten Jahren ausgesetzt waren, oder einfach nur eine Provokation?

Mit einigen Tagen Abstand halte ich für mich – und den Moment – fest, dass ich es trotz aller Abneigung letztendlich doch spannend fand, dieses Buch zu lesen; dass ich sehr neugierig bin auf andere Meinungen dazu; und dass ich mir gut vorstellen kann, DIE AKTUELLE SITUATION nach einer gewissen Verschorfungszeit wieder zur Hand zu nehmen wie ein düsteres Stundenbuch, um hier und da und dort in den Text zu lesen und mich der Wucht einer Autorin zu stellen, wie ich nur wenige kenne.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Ruth Herzberg: DIE AKTUELLE SITUATION. mikrotext, 2022