Trotz kleiner Stolpersteine ein Vergnügen: Eva Lohmann hat einen wunderbaren Roman geschrieben

„Neue Dingen können nur wachsen, wenn es einen Platz dafür gibt.“

Wäre ihr Leben ein Wetterbericht, die Aussichten wären heiter – Johanna hat keinen Grund, sich zu beschweren: Ihr Blumenladen läuft; ihre Tochter Rosa ist mit 14 aus dem Gröbsten raus; ihr Ehemann Hendrik ist gut im Schuss, selten zuhause und ansonsten auch kein Störfaktor. Trotzdem fühlt es sich für Johanna selten nach Sonnenschein an. Da ist zum einen die Trauer um ihren Vater, kein scharfer Schmerz mehr, aber präsent; zum anderen die Frage, ob sie mit Anfang 40 schon beginnt, unsichtbar zu werden. Oder hat sie sich nur selbst aus den Augen verloren?

Wenn man das vom Verlag in den Details sehr schön ausgestattetet Buch zuklappt – zum orangefarbenen Einband gesellen sich ein pinkes Kapitalband und ein mauvefarbenes Lesebändchen –, ist es erstaunlich, wie viele Themen Eva Lohmann auf gerade mal 234 Seiten unterbringt: Die Selbstzweifel einer Frau, die mit nachlassendem Schwung hadert; das komplexe Verhältnis zum geliebten, verstorbenen Vater und zur noch lebenden Mutter; die Frage, ob ein faltenfreies Gesicht den Marktwert steigert, für die Welt auf der einen und für sich selbst auf der anderen Seite. Und wenn ich nun noch erwähne, dass es auch um Johannas Ehe geht, um allgemeine Erwartungshaltungen an Frauen, um die Frage, wie sehr man ein Kind schützen muss … dann könnte man denken, WIE DU MICH ANSIEHST wäre überfrachtet. Ist es aber nicht.

IM FRÜHLING GELESEN – DEN SOMMER GESPÜRT

Es ist anzunehmen, dass Eva Lohmann den Roman sitzend oder stehend am Rechner geschrieben hat – und doch hat ihr Text eine Leichtigkeit und Luftigkeit, als würden wir ihr dabei zusehen, wie sie im Garten von Johannas Vater tanzt. Sie versteht sich auf kleine, intime Beobachtungen: Wenn sie beispielsweise schildert, wie Johanna und ihre damals noch kleine Tochter einen Abend auf dem Küchenteppich verbracht haben, ist das nur eine von vielen Szenen, die uns ein wohliges Seufzen entlockt. Die Begeisterungsfähigkeit von Johannas Mitarbeiterin Ruby, Hendriks lange Zeit ruhepolige Gegenwart, Johannas Staunen, als ihre Zornesfalte verschwindet, das sind alles Momente, die wir intensiv empfinden, obwohl Lohmann gar nicht viele Worte darauf verwendet. Und deswegen leiden wir auch mit Johanna, wenn ihr Unangenehmes widerfährt, oder wenn sie sich mit der Frage auseinandersetzen muss, was ihr Vater für ein Mann war jenseits der Vaterrolle, die ihm so gut stand (ich bin, nur um’s gesagt zu haben, #teammutter).

WIE DU MICH ANSIEHST ist ein Buch, das man einfach genießen kann, barrierefreie Unterhaltungsliteratur, die schlauer ist, als man nach dem zu idyllisch geratenen Schutzumschlag annimmt – ein Lesevergnügen, das man allerdings auch nicht kritisch hinterfragen sollte. Und damit meine ich nicht einmal die Frage, ob es denn wirklich so ist, dass Frauen schon mit Anfang 40 unsichtbar werden für ihre Umwelt. (Ab hier gibt’s nun Spoiler.)

Manchmal macht es sich Lohmann meiner Meinung nach etwas einfach. Wenn die ungelenke Beschimpfung „Alte Tussi“ statt dem gebräuchlicheren „Blöde Kuh“ fällt, wenn durch eine Übergriffigkeit passend für den dritten Akt noch etwas Hurlyburly in die Handlung kommt, wenn das Ehe-Aus der Eltern erst 25 Jahren später reflektiert und die überraschend auftauchende Geliebte des Vaters gar nicht in Frage gestellt wird, passiert das nach dem Motto „Bestellt und abgeholt“ immer dann und so, wie die Autorin es braucht. Und Hendrik? Der ist möglicherweise die eierlegende Wollmilchsau einer männlichen Nebenfigur, die immer so liebevoll, aggressiv, Nähe suchend und distanziert agiert, wie es gerade kommod ist … bis hin zu der unglaubwürdigen Konstruktion, dass ein stets rational agierender Mann, der dringenden Redebedarf hat, lieber unzählige Male vergeblich anruft, als sich einmal kurz aufs Fahrrad zu schwingen.

HACH, MEGA, GUT GEMACHT!

Obwohl ich solche Stolpersteine sehe – und auch das Gefühl habe, dass Eva Lohmann wie schon beim Vorgänger DAS LEISE PLATZEN UNSERER TRÄUME zum Ende hin vor allem fertig werden wollte, statt der Geschichte Raum zu geben –, stören sie mich nicht: WIE DU MICH ANSIEHST hat so viel mehr zu bieten. Die sensibel herausgearbeiteten Parallelen zwischen Mutter und Tochter – HACH! Der Moment, wenn Johanna sich in Hendriks Arme fallen lässt – MEGA! Die Erkenntnis, dass der geliebte Vater „Mutter“ für ein Schimpfwort hielt – SO GUT GEMACHT! Und ich bin noch dazu begeistert, wie Lohmann über den Blumengroßmarkt schreibt.

Anders, als der Titel es vermuten lässt, ist WIE DU MICH ANSIEHST ein Buch darüber, wie wir uns selbst sehen – wie wir versuchen, uns zurechtzufinden, wenn wir uns im Alltag verloren haben. Johanna braucht dafür den Umweg über eine Schönheitsbehandlung, auch wenn sich letztendlich zeigen wird, dass Zornesfalten und hängende Mundwinkel keine Lösung sind, sondern nur ein Hilfsmittel, um die Augen aufzumachen für uns … und für andere.

Ein Schlusssatz? Der Roman erscheint im Frühling, ist aber perfektes Lesefutter für den Sommer. APPLAUS!

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten; dies hat keinen Einfluss auf meine inhaltliche Bewertung. Es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Eva Lohmann: WIE DU MICH ANSIEHST. Eisele Verlag, 2025