Ein kurzes Interview mit Eva Lohmann über das Paradox der Sichtbarkeit, übernommene Verhaltensweisen und ihren Roman WIE DU MICH ANSIEHST.
Ist der Buchumschlag eine schöne Mogelpackung? Denn so idyllisch, wie dort eine Frau im Grünen sitzt, geht es in WIE DU MICH ANSIEHST nicht zu: Eva Lohmann erzählt von der Neuverhandlung einer Frau – wie sie sich selbst sieht, wie andere sie sehen (und sehen sollen), aber auch, wie sie sich zu den Menschen in ihrem Leben positioniert. Das weckt meine Neugier, und umso mehr freue ich mich, dass die Autorin Zeit gefunden hat, mir drei Fragen zu beantworten.
Liebe Eva, die Hauptfigur in WIE DU MICH ANSIEHST ist Anfang 40 – und hat das Gefühl, für ihre Umwelt unsichtbar zu werden. Aber warum sollte es überhaupt wichtig sein, gesehen zu werden, und warum ist es das für Johanna?
Eva Lohmann: „Das ist ein Paradox, um das sich das ganze Buch dreht. Ich kenne eigentlich keine Frau, die sagt, dass sie diese speziellen Blicke von Männern auf der Straße genießt. Trotzdem finden es alle irgendwann kränkend, wenn diese Blicke ausbleiben. Dem habe ich versucht, auf den Grund zu gehen. Johanna erinnert sich im Roman daran, wie sie schon als Kind und später als Teenagerin Aufmerksamkeit und Lob für Äußerlichkeiten bekommen hat. Sie hat also verinnerlicht, dass zumindest ein Teil ihres Wertes darin liegt, wie sie aussieht – und ob man sie ansieht. Da Schönheit vergänglich ist, wird es ihre Aufgabe, ihren Wert auch abseits dieser Äußerlichkeiten zu suchen – und zu finden.“
Ich finde diese Antwort für mich sehr spannend, zumal ich merke, dass ich als Mann gerade diesen männlichen Blick so nie wahrgenommen habe (gleichzeitig aber zum Beispiel die Szene, in der es um Oberschenkel und eine Verletzung in der Teenagerzeit geht, sehr – sehr, SEHR – nachvollziehen kann). Muss ich echt drüber nachdenken. Aber hier kommt jetzt erst einmal die nächste Frage:
Dein Roman beginnt damit, dass Johanna sich eine Zornesfalte wegspritzen lässt – aber weil man das Leben nicht botoxen kann, beginnt so auch die Auseinandersetzung mit ihrem verstorbenen Vater, mit ihrer Mutter, ihrer Rolle als Inhaberin eines Blumenladens. Was hat Dich an dieser Geschichte gereizt?
Eva Lohmann: „Älterwerden kann ziemlich nerven, aber eben auch sehr spannend sein. Ich selbst verstehe Wege und Entscheidungen von Menschen viel besser, seit ich keine zwanzig mehr bin. Vor allem die meiner Eltern. Und plötzlich ertappt man sich dabei, wie man Dinge wiederholt, die man bei seiner Mutter nie verstanden hat. Oder eine neue Erkenntnis schubst den Vater von dem imaginären Thron, auf dem er jahrzehntlang sehr bequem gesessen hat. Solche Prozesse nachzuvollziehen, das finde ich spannend.“
Needless to say: ICH AUCH! Wenn man bei WIE DU MICH ANSIEHST auf die Subtext-Ebene geht, da wartet ganz viel, auch eben in der Situation, dass die Hauptfigur den alten Garten ihres Vaters neu bestellen kann, vielleicht sogar muss … und ob sie’s dann tut? Müsst ihr selbst lesen. Hier jetzt aber erst einmal die dritte Frage an Eva:
Johannas Mutter hat den Vater verlassen, als ihre Tochter 14 Jahre alt war, und sich eine kleine Wohnung gesucht; auch Johanna wird im Verlauf des Romans das Gefühl haben, einen Rückzugsort zu brauchen. Wie wichtig ist es Deiner Meinung nach, sich einen vorübergehenden Ausbruch aus dem Alltag zu gönnen?
Eva Lohmann: „Für mich ist es überlebenswichtig. Ich habe keine Ahnung, wie wichtig es für meine LeserInnen ist, aber ich habe schon das Feedback bekommen, dass meine Romane sich anfühlen würden wie eine wohltuende Umarmung oder eine Auszeit von dem, was gerade da draußen in der Welt los ist. Die Autorin Regina Denk hat in ihrem Podcast gerade darüber gesprochen, dass in letzter Zeit viele Frauen Romane veröffentlicht haben, in denen es eine Rückzugsort für die Protagonistinnen gab – zum Beispiel das umgestaltete Hotelzimmer in Miranda Julys Roman AUF ALLEN VIEREN. Vielleicht haben wir alle diese Räume, Nischen, unbeobachteten Moment nie so sehr gebraucht wie jetzt gerade.“
Auch das ist so eine Frage, über die ich gerade viel nachdenke – nicht zuletzt, weil ich natürlich auch den Podcast Lesen oder nicht Lesen?! von Regina Denk gehört habe. Wie seht ihr das … und was ist eure Schutznische, euer Wohlfühlraum? Verratet es mir, pretty please! Und lest WIE DU MICH ANSIEHST. Es lohnt sich.
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Ich habe WIE DU MICH ANSIEHST von Eva Lohmann als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei diesem Interview handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern ist einfach meiner Neugier geschuldet.
Eva Lohmann: WIE DU MICH ANSIEHST. Eisele Verlag, 2025.
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