Ein Freundinnenroman, der – leider – mehr verspricht, als er hält
„Zusammenhalt ist der Deal, das ist es, woran wir glauben, und deswegen ist alles, was wir machen, für mich vor allem eins: die Möglichkeit, unsere Freundschaft noch ein bisschen größer werden zu lassen, noch ein bisschen glänzender. […] Mein Leben ist ein Film, und ich spiele die Hauptrolle, ich werde immer besser und sehe mir dabei zu. – Wenn sie mich im Laufen an der Schulter streift, zieht es hoch bis zu meiner Kopfhaut; wenn sie in Menschenmengen nach meiner Hand greift, dann spüre ich ihre Berührung noch Stunden danach.“
((Achtung: Diese Rezension enthält Spoiler.))
Sie sind beste Freundinnen – zumindest sonnen sie sich in dem Gedanken: Jara, die Ich-Erzählerin, fühlt sich zu keinem anderen Menschen so hingezogen wie zu Anto. Die ist cool, weiß genau, wie und wo man die guten Sachen klaut, und wenn eine Krähe durch einen Fußball schwer verletzt wird? Zögert sie nicht, sondern tötet das Tier, um es von seinem Leiden zu erlösen. Nur über ihre Traurigkeit, über die will Anto nicht mit Jara sprechen – und die fragt auch nicht nach, als sie zum ersten Mal die alten Narben an den Handgelenken ihrer Freundin sieht.
Der Debütroman WENN WIR LÄCHELN hat nicht nur ein intensives Bildmotiv auf der Vorderseite des Umschlags, sondern kann sich auch auf der Rückseite schmücken: „Mascha Unterlehberg schreibt hart und weich, klar und schimmernd“, wird dort die 2024 für DIE SCHÖNSTE VERSION gefeierte Ruth-Maria Thomas zitiert: „Dieser Roman beschleunigt den Puls und lässt den Atem stocken.“ Das stimmt alles – ist meiner Meinung nach aber leider nur die halbe Wahrheit.
Unterlehberg kann schreiben, sehr gut sogar. Sie versteht es, mit wenigen Worten und ohne große Effekte eine eindringliche Stimmung zu erzeugen (abgesehen von den abbrechenden Sätzen, die in der nächsten Zeile fortgesetzt werden, um ein Stakkato in den Text zu zwingen), sodass ich mich begeistert in die Geschichte fallen lassen konnte. Die Zeitsprünge, die Frage, was hier wahr ist und was nicht: Das ist hervorragend gemacht. Und wie Anto für Jara zur Sehnsuchtsfigur wird, bevor diese den Strahlenkranz dann Stück für Stück verliert, das ist so gut geschrieben, dass man (in meinen Fall eben auch: Mann) es intensiv miterlebt.
Diese Qualität habe ich leider in der zweiten Hälfte des 249 Seiten umfassenden Romans vermisst. Vielleicht auch, weil der zu bejubelnde Rückseitentextsatz „Sie teilen Lipgloss, Cherry Cola und Gewaltfantasien“ nur eingeschränkt zutrifft. Ich hatte ein Female-Rage-Highlight erwartet, und auf Seite 9 dachte ich sogar, hier käme ein „Promising Young Woman“ auf uns zu. Aber letztendlich wird dies meiner Meinung nach nicht eingelöst – trotz Schlagring, Baseballschläger, trotz einem Typen, der den Freundinnen nicht hinterherlaufen hätte sollen, und einigen Gedanken von Jara.
EIN LESER VON GERINGEM VERSTAND HAT FRAGEN
Natürlich ist nachvollziehbar, warum Anto für Jara zunehmend aus dem Zentrum verschwindet; natürlich sind Antos Kamikazeaktionen, der Sprung gegen eine Wand und von einer Brücke, deutliche Hinweise darauf, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Trotzdem kam Antos Verschwinden auf den letzten Seiten für mich Leser von geringem Verstand eher unerwartet; für mich blieb offen, ob Anto, so wie Jara, einen Weg finden muss, um sich dieser intensiven Freundschaft (und noch dazu den eigenen Dämonen) zu entziehen. Auf eine Art offen immerhin, dass ich noch schwankte, ob ich es unbefriedigend finden solle – bis ich einen Blick ins Impressum warf, das dem Roman zumindest in der Leseexemplar-Version nicht voran-, sondern nachgestellt ist … und dort den gut versteckten Trigger-Hinweis finde, der mich darüber informiert, dass der Roman Suizid thematisiert. (Was sich der Verlag dabei gedacht hat, ist mir schleierhaft: Wenn man meint, einem Buch eine Triggerwarnung geben zu wollen, dann doch so prominent, dass Betroffene sich barrierefrei informieren können und nicht erst nach dem Feigenblatt suchen müssen.)
Ich empfinde es als ungerecht, Bücher miteinander zu vergleichen, die nichts dafür können, vor oder nach dem jeweils anderen veröffentlicht worden zu sein. Aber ich konnte nicht verhindern, dass ich WENN WIR LÄCHELN, auch durch das erwähnte Zitat von Ruth-Maria Thomas, mit der Erinnerung an DIE SCHÖNSTE VERSION im Hinterkopf gelesen habe – und ich deswegen bei der Darstellung misogynen Verhaltens und der sexuellen Gewalt, die Jara angetan wird, nicht schockiert und aufgerüttelt war (wie es angebracht gewesen wäre), sondern dachte: Das habe ich doch gerade erst gelesen …
Das gilt auch für die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen der Arroganz der Privilegierten und dem Unterlegenheitsgefühl der anderen. Und erst recht für die etwas zu sehr nach Schema F gearbeitete Fallhöhe der materiell abgesicherten, aber ansonsten vernachlässigten Anto. Das alles kenne ich bereits aus den letzten Jahren, und es wirkt darum auf mich wie ein Baukastensystem: „Für ein aufsehenerregendes Debüt nehme man …“ Umso mehr hätte ich mir gewünscht, dass der Aspekt der fehlenden Solidarität zwischen den Mädchen noch etwas mehr Raum bekommen hätte … wobei ich nicht ausschließen möchte, dass das eigentlich genau richtig dosiert ist. Denn:
„Immer wieder trainieren wir uns darin, Schmerzen auszuhalten“, heißt es an einer Stelle: „Alle Schmerzen, die in uns stecken, alle, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch vor uns liegen.“ Ich habe mir die beiden Sätze nicht nur markiert, weil ich sie sehr gelungen finde im Kontext ihrer Szene, sondern weil ich zu diesem Zeitpunkt im Buch schon selbst einen schmerzhaften Gedanken hatte: Bin ich einfach zu alt für WENN WIR LÄCHELN? Und möglicherweise lese ich den Roman noch dazu als Mann anders. Das ist für mich Leser von geringem Verstand ein sehr unschöner Gedanke; er mahnt mich aber, meine Wahrnehmung von Büchern noch kritischer zu hinterfragen.
Ich bin sicher, dies wird nicht der letzte Roman von Mascha Unterlehberg sein – und ich bin sehr gespannt, wie sie sich weiterentwickelt. Denn auch wenn mich die Dramaturgie nicht überzeugt, kann man in WENN WIR LÄCHELN ein Schreibtalent erkennen, das neugierig macht auf mehr.
***
Ich habe dieses Buch bereits vor dem Erscheinungstermin lesen können, weil ich das Lesexemplar von einer befreundeten Buchhändlerin in die Hand gedrückt bekam; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Mascha Unterlehberg: Wenn wir lächeln. Dumont, 2025
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