Vom Suchen nach den richtigen Büchern, vom Finden der Stimmen, die uns bereichern

„Astrid Lindgrens Eltern trugen so viel Glück, Liebe und Frieden in sich, dass sie ihr Kind damit geradezu beschneien konnten (Walter Benjamin sagt das in ‚Einbahnstraße‘ einmal so schön: ‚… über und über mit Glück beschneit …‘), und dass Lindgren als Schriftstellerin mehr als nur eine Kindergeneration damit beseelen konnte. – Und wenn es in unserm Leben so ein Glück nicht gibt, dann können wir es uns aus den Büchern holen, es ist kein Surrogat, es ist eine Hilfe, eine Kraft. Ich habe das oft genug erfahren.“

Zu meinen persönlichen Hausheiligen gehört Elke Heidenreich, seit ich mich an sie erinnern kann, auch wenn sie mit ihren zuletzt bei Hanser erschienenen Reiseerinnerungen dem von mir bereitgestellten Marmorsockel Risse zugefügt hat. Trotzdem war ich neugierig auf HIER GEHT’S LANG, ihr zuvor im Eisele Verlag veröffentlichtes Buch, das den Untertitel „Mit Büchern von Frauen durchs Leben“ trägt: „Ein Geschenk“ wäre auch passend gewesen – denn das ist dieser schmale Band.

Auf 189 Seiten erzählt Elke Heidenreich von ihrem Leben als Leserin, vom Suchen nach den richtigen Büchern, vom Finden der Stimmen, die sie bereichert haben. Vieles kannte ich aus anderen Büchern oder aus Interviews, und doch war es, als dürfte ich zum ersten Mal staunend zuhören, wie ein schlauer, humorvoller, vermutlich auch ein wenig eitler, dabei aber der Selbstironie zugeneigter Menschen einen für die Öffentlichkeit bestimmten und trotzdem ungemein intimen Einblick in das eigene Empfinden gibt. Liebe, das wissen wir alle, kann man nicht anfassen, dieses Buch dagegen schon, und weil ich nun sowieso schon jenseits jeglicher Objektivität fanboy-e, kann ich auch direkt noch hinterherschieben, dass die Wärme und Zugewandtheit, die dieser Text verströmt, jeden Taschenofen der Welt ersetzt (und deswegen auch zwingend mit einem Tuch fotografiert werden muss, das meine Mutter mir für die kühleren Momente des Lebens geschenkt hat).

HIER GEHT’S LANG klingt wie ein selbstgewisser Marschbefehl, den ich eher mit Strammstehen und Salutieren verbinde als mit diesem charmanten Leseglück, und natürlich fasziniert mich die Frage, warum ich den Eindruck habe, hier Zugang zu einem viel kleineren Rahmen erhalten zu haben als zu einer Lesung im Olympiastadion. Ist es möglich, dass die „Grande Dame der deutschen Unterhaltungsliteraturszene“ (ich nehme an, sie würde diese Bezeichnung ebenso wenig schätzen wie den Stempel der „Literaturpäpstin“), beim Schreiben nicht das große Publikum vor Augen hatte, sondern in Gedanken ganz persönlich bei ihrer Verlegerin war, irgendwo zwischen Freundschaftsdienst und augenzwinkernder Abendgabe? Ob es so ist oder nicht, müssen wir nie erfahren, aber was zweifelsfrei festgehalten werden kann ist, wie viel Mühe sich der Verlag bei der Gestaltung gemacht hat: Farbdruck, fingerschmeichelndes Papier, Lesebändchen und ein luftiges, reich illustriertes Layout (von Axel Raidt, entnehme ich dem Impressum, dem man in diesem Fall so zujubeln darf wie sonst guten Übersetzenden). Ein Buch? EIN FEST!

„Ich fing gerade an, mich brennend für nette junge Männer zu interessieren, und hatte noch nicht entschieden, ob ich Lämmchen oder Löwin werden wollte. Ich wurde, falls es Sie interessiert, so etwas Ähnliches wie Katze“, schreibt Heidenreich auf einer der sehr, sehr vielen Seiten, die ich mit einem – wir bleiben bei den Tiervergleichen – Eselsohr geadelt habe. Der für mich vielleicht wichtigste Moment findet sich auf Seite 92, wo es über eine intensive Begegnung heißt: „Einer dieser ‚Weißt du noch?‘-Abende, die uns das Altwerden leicht machen.“ Beide Zitate kann man im Kontext barrierefrei lesen und genießen, aber auch nachklingen lassen, mit sich tragen, als Wand- oder Über-dem-Herz-Tattoo in Erwägung ziehen.

Natürlich ist man versucht, sofort eine Leseliste zu schreiben mit all den Titeln, die Elke Heidenreich vorstellt – und obendrauf packe ich für euch eine Hörempfehlung: Der Eisele Verlag unterhält einen Podcast, DIE OPTIMISTEN, und die Ausgabe mit Elke Heidenreich habe ich in vielerlei Hinsicht als bereichernd empfunden (auch wenn’s am Ende eine kalte Dusche gibt, aber auch das gehört dazu). Schon ärgere ich mich, dass ich mein Exemplar von IHR GLÜCKLICHEN AUGEN nicht behalten habe, vielleicht würde ich es nach dem Genuss, den HIER GEHT’S LANG mir geschenkt hat, doch noch einmal anders lesen? Nun, vielleicht irgendwann die Taschenbuchausgabe, die sich dann im Regal an dieses wunderbare Werk hier anschmiegen darf, zu dem ich statt dieser vielen Worte eigentlich auch nur ein einziges hätte verwenden können: LESEN!

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Ich habe dieses Buch von einer Freundin, die beim Verlag arbeitet, geschenkt bekommen; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Elke Heidenreich: HIER GEHT’S LANG – Mit Büchern von Frauen durchs Leben. Eisele Verlag, 2022