Dieser Lesetipp aus dem Bestseller von Gabriele von Arnim ist auf jeden Fall die Entdeckung wert

„Ich hätte mir niemals träumen lassen, was mich durch das vergangene Jahr gebracht hat: eine Waldschnecke – ohne sie hätte ich es, glaube ich, wirklich nicht geschafft. Zu beobachten, wie ein anderes Geschöpf seinem Leben nachgeht … gab auch mir, der Beobachterin, einen Daseinszweck. Wenn der Schnecke das Leben etwas bedeutete und die Schnecke mir etwas bedeutete, hieß das, das irgendetwas in meinem Leben von Bedeutung war, also hielt ich durch.“

Ich bin stets misstrauisch, wenn ein Buch damit beworben wird (und irgendwo in München lacht nun eine Dame perlend auf), dass es tröstlich ist und Mut macht in schwierigen Zeiten. Trotzdem bin ich durch die Erwähnung im Buch von Gabriele von Arnim neugierig geworden – und als ich DAS GERÄUSCH EINER SCHNECKE BEIM ESSEN zufällig im Second-Hand-Buchladen entdeckte, griff ich zu (auch wenn ich eigentlich nach Vicky Baum suchte, aber heissa hossa, wie schön ist es, sich vom Weg abbringen zu lassen).

Der Weg der Journalistin Elisabeth Tova Bailey scheint dagegen in den Abgrund zu führen, denn was zunächst wie eine harmlose Virusinfektion wirkt, fesselt sie bald an ein Bett, das nicht einmal in ihrem geliebten Waldhaus stehen kann, sondern in einem für das Pflegepersonal besser zu erreichenden Appartement. Um ein bisschen von ihrem alten Leben ins neue zu holen, gräbt eine Freundin ein paar Ackerveilchen für sie aus – auf, unter und neben denen eine kleine Schnecke lebt. Diese wird für Bailey in den nächsten Monaten zur treuen Gesellschafterin.

Indem die Journalistin vieles liest, was über Schnecken veröffentlicht wurde, findet sie Ablenkung und einen von der Faszination für diese Geschöpfe getriebenen neuen Lebensmut … und wenn Bailey am Ende des Buchs in ihr Haus zurückkehren kann, möchten wir Lesende nicht nur ihr, sondern auch ihrer kleinen Freundin zujubeln, die inzwischen wieder in ihr natürliches Umfeld zurückgekehrt ist.

Ich bin davon ausgegangen, dass mich ein Memoir erwarten würde mit ein bisschen Schnecke am Rand – und durchaus verblüfft, dass es genau andersherum war: Auf den von Kathrin Razum fließend ins Deutsche übertragenen Seiten erfährt man sehr viel über diese faszinierenden Tiere, Bailey selbst tritt in den Hintergrund, ohne dabei aber an Präsenz zu verlieren. DAS GERÄUSCH EINER SCHNECKE BEIM ESSEN war für mich daher ein ebenso überraschendes wie lehrreiches und großes Vergnügen.

Hat es mich getröstet? Eher nicht. Hat es mich zum Schnecken-Fan gewandelt? Auch eher nein. Aber gleichzeitig ist da dieser Gedanke: Wenn eine Schnecke es schafft, das geborstene eigene Schneckenhaus in einer Art Kintsugi zu reparieren, warum sollte uns das nicht auch gelingen?

***

Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Elisabeth Tova Bailey: DAS GERÄUSCH EINER SCHNECKE BEIM ESSEN. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. Piper Verlag, 2012