Der vierte Band der Serie – und die Frage, ob dem Autor die Luft ausgeht?

„Die Details wurden vertuscht. Nicht, dass Vertuschung je funktioniert hätte. Erstes Gesetz in der Spook Street: Geheimnisse bleiben nicht geheim.“

Manche Freundschaften sind wichtig, andere nicht, und dann gibt es noch jene, die irgendwo dazwischen verharren, mit einer Kruste über dem Schnitt, die man eigentlich auch abknibbeln könnte. Daran musste ich denken, während ich mich in SPOOK STREET fallen ließ, den vierten Thriller um Jackson Lamb und seine Slow Horses, die ausgemusterten AgentInnen des britischen Secret Service.

Der Fall, der sich mit bewährt hohem Tempo auf 453 Seiten entwickelt, ist natürlich auf Unvorhersehbarkeit angelegt, denn welche Verbindung könnte es geben zwischen einem grauenhaften Attentat, das England tief erschüttert, und der zunehmenden Demenz einer Geheimdienstgröße, die schon lange nicht mehr im Dienst ist? Und doch, und ach, und hrmpf: Habe ich schon zu viel von Mick Herron gelesen … oder ist er möglicherweise von seinen eigenen Geschichten übersättigt?

Natürlich adelt sich SPOOK STREET (in der Übersetzung von Stefanie Schäfer) wieder selbst damit, dass er mit einem Erzählstil glänzt, der nicht nur auf Action und Nervenkitzel abzielt … aber ist Herron diesmal vielleicht nur knapp daran vorbeigeschrabbt, vom feinen Spiel mit literarischen Mitteln ins barocke Overwriting abzurutschen? Hinzu kommt, dass ich das Gefühl habe, dass seine Tough Love zu seinen Figuren dabei ist, in komplettes Desinteresse oder gar Abneigung umzuschlagen: Natürlich lebt die Serie von der Garstigkeit der Charaktere, aber Sympathie kann ich nur noch für Catherine Standish empfinden (und – das verrate ich nur hier, weil mir sonst sofort eine Tendenz zu antisozialer Grundeinstellung unterstellt werden könnte – für die ewig Ränke schmiedende Lady Di); das sorgt dafür, dass mir als Leser von geringem Verstand ziemlich egal ist, wer überlebt oder auf der Strecke bleibt.

Kritik könnte man vielleicht auch daran üben, dass schon zu Beginn des zweiten Akts klar wird, worauf das Verwirrspiel hernach eher geradlinig als hakenschlagend zuläuft (inklusive des „Ach hallo, wer bist denn du, aber wenn du schon mal da bist, kann ich dir auch direkt alle wichtigen Informationen geben“-Monologs einer Figur, die nur eingeführt wird, um ebendiesen zu halten) … und dadurch wurde für mich die Frage spannender, ob Herron dies schon bei der Grundkonzeption der Serie so in Planung hatte, oder ob er ein hier und da erwähntes Geheimnis stets vage ließ, um es hier wie einen Joker aus der Dramaturgie-Tasche zu ziehen.

Bin ich neugierig auf den fünften Band? Natürlich! Aber während ich mich nach dem dritten Band wirklich beherrschen musste, den vierten nicht sofort im Anschluss durchzusuchten, kann ich mir nun deutlich entspannter Zeit lassen. Was natürlich auch ein guter Leserservice sein mag. Würde ich hier Punkte vergeben: 6,5 von 10 … und davon unabhängig die klare Empfehlung an alle, die den ersten Band SLOW HORSES noch nicht kennen, diesen zu genießen.

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Ich habe dieses Buch von einem Freund geschenkt bekommen, der beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Mick Herron: SPOOK STREET – Ein Fall für Jackson Lamb. Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. Diogenes Verlag, 2022