Rebecca F. Kuang hat eine rasante Satire auf die Buchbranche und ihre Fallstricke geschrieben

„Nachts liege ich zusammengerollt im Bett, den Handybildschirm dicht vor meinem Gesicht, und suche im Internet nach meinem Namen und meinem Buch, um dem Nervenkitzel einer Zeit nachzuspüren, in der ich von der Literaturwelt gefeiert wurde. […] Immer wieder lese ich die begeisterten Rezensionen, um mich daran zu erinnern, dass es eine Zeit gab, in der das Publikum meine Bücher wahrhaftig liebte. Sobald es mir zu fade wird – für gewöhnlich ist das gegen Mitternacht der Fall –, wage ich mich an das negative Zeug.“

Im Blockbuster DR. STRANGE wird eine Figur, die in der Comicvorlage ein alter asiatischer Mann ist, von Tilda Swinton gespielt. Die weiße amerikanische Autorin Jeannine Cumming wird kritisiert, weil sie über mexikanische Figuren schreibt. Die Diskussion, wer die Gedichte einer Schwarzen Frau übersetzen kann – beziehungsweise darf –, haben wir auch deswegen noch im Ohr, weil es eher ein Geschrei zu sein schien als ein Streitgespräch. Und, und, und … und das ist möglicherweise eine zu lange Einleitung, um meine Gedanken zum rasanten, auf bösartige Art humorvollen und mit brisanten Themen flirtenden Roman YELLOWFACE von Rebecca F. Kuang einzuleiten.

Als ihre Lieblingsfeindin, die berühmte Schriftstellerin Athena Liu, bei einen Unfall stirbt, ruft die Autorin June Hayward einen Krankenwagen – und schnappt sich dann, ohne lange nachzudenken, deren Geheimmanuskript. Sie ist vom Text begeistert, überarbeitet ihn, gibt ihn als ihren aus … und feiert damit einen triumphalen Erfolg. Doch je höher ihr Stern steigt, umso mehr gerät sie (zum Teil durch große Blauäugigkeit) in das Fadenkreuz der Kritik, und zu der gesellt sich auch lustvoller und im Internet so leicht hinauszuposaunender Hass …

Die Grundidee, die Kuang in YELLOWFACE auf 381 – von Jasmin Humburg geschmeidig ins Deutsche übertragenen – Seiten ausgestaltet, ist nicht neu, aber wie sie über einen literarischen Betrug, die Schattenseiten der Verlagsbranche sowie der modernen Aufmerksamkeitsökonomie und verschiedene Spielarten von Diskriminierung erzählt, habe ich als erfrischend und großes Vergnügen empfunden. Spannend ist es noch dazu, wenn man sich fragt, was June Hayward schneller zu Fall bringen wird, ihr schlechtes Gewissen oder die Kritikerinnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die weiße Frau dafür zu strafen, sich eines asiatischen Themas bemächtigt zu haben.

Ein weißer Mann wagt sich möglicherweise auf dünnes Eis, wenn er versucht, seine Gedanken zu einem Roman zu äußern, in dem es um Deutungshoheiten geht, um Rassismus, um Repräsentation. Man nehme daher bitte nur einen Stein zur Hand – und gerne einen kleinen –, wenn ich sage, dass YELLOWFACE wirklich nur von einer (amerikanischen) Autorin chinesischer Herkunft geschrieben werden konnte, der es möglich ist, hier vergnügt gegen alle Seiten auszuteilen … also auch gegen jene, die vermeintlich auf ihrer Seite stehen. An anderer Stelle habe ich gelesen, dass Lesenden dabei der große (gesellschafts)politische Ernst fehlte, aber den habe ich in keiner Weise vermisst: Als Leser von geringem Verstand glaube ich, dass Kuang sich hier eher in der Tradition einer Taylor Jenkins Reid sieht als einer Susan Sonntag … und vermutlich Vergnügen daran hatte, große Themen unserer Zeit in einem fluffy Beach-Read zu verpacken.

Zwei Fragen haben mich dabei mehr bewegt als die, wer nun was sagen, schreiben, darstellen darf – zum einen, ob June nun ein „Anti“ vor der Charakterisierung „Heldin“ zu tragen hat, und zum anderen, in wieweit sie auf der Grundlage des geraubten Manuskripts wirklich ein eigenständiges Werk schaffen konnte, für das sie sich als Urheberin verstehen darf … und ob das jenseits der juristischen Dimension auch eine Frage ist, die man moralisch anders interpretieren kann, wenn man erfährt, wie Athena Liu selbst zu vielen ihrer gefeierten Texte kam. Und reicht ein erster Satz, der 1:1 für ein Buch übernommen wird, wirklich aus, um von einem Plagiat zu sprechen?

Der Eichborn Verlag, bei dem YELLOWFACE in Deutschland veröffentlicht wird, hat das Buch hinreißend ausgestattet (zum Lesebändchen und Farbschnitt gesellt sich ein hübsches bedrucktes Vorsatzpapier nebst augenzwinkernd gestaltetem Einband) und, so kann man annehmen, viel Energie in die Vorabpromotion investiert. Das trifft nicht nur auf Gegenliebe und befeuert das Bookstagram-Menetekel, das Hype-Bücher nicht immer vorurteilsfrei geliebt werden dürfen. Aber das Schöne daran ist, und auch darüber schreibt Kuang schlau und kenntnisreich, dass die Stürme in den Social-Media-Wassergläsern oft keinerlei Auswirkungen auf das wahre Leben haben … oder auf reale Buchverkäufe. Ich wünsche der Autorin, dass dieses Lesevergnügen (mit all seinen echten oder Barbie-rosa Denkanstößen) ein Bestseller wird!

***

Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Rebecca F. Kuang: YELLOWFACE. Aus dem Englischen von Jasmin Humburg. Eichborn Verlag, 2024