Ein großartiger Roman mit einer ebensolchen Versuchsanordnung
„Du besitzt sogar ein Bienenwachstuch, in das man Brot einwickeln kann, Speisen bedecken, Gefäße abdichten. Du müsstest es nur aus seiner hübschen Kartonverpackung nehmen und endlich einmal verwenden. Aber wer dachte schon im rechten Moment daran?“
Ein großes Vergnügen – dieser schmale, Crémant-durchflutete Roman hat seine ganz eigene Bissigkeit und Eleganz, auch wenn (oder gerade weil) mich die Kammerspiel-taugliche Geschichte zu gleichen Teilen an Yasmina Reza und Sophie Passmann erinnert hat.
Theresa Präauer erzählt in KOCHEN IM FALSCHEN JAHRHUNDERT mit ironisch hochgezogener Augenbraue und doch zugewandtem Humor von einer Frau, die Freunde einlädt – und obwohl das Abendessen zwanglos wirken soll, ist es natürlich bis ins Detail durchchoreografiert (das richtige Rezept aus dem richtigen Kochbuch, das retromoderne Besteck, die optimal stimmungsschmeichelnde Playlist). Gleiches gilt für die zu erwartenden Gespräche: „Das Sprechen über Material und Sprache war unüberhörbar der Kitt ihrer Freundschaft. Es ließ sich über Rotwein genauso fachsimpeln wie über Kunst und Politik.“ Kein Wunder, dass nur eine der auftretenden Figuren einen Namen hat – die Gastgeberin, der Schweizer, der Ehemann, sie alle sind Stellvertretende, in denen wir uns, unsere Freunde oder „die Leute“ wiedererkennen können, ganz egal, ob wir Teil der wohlstandsverlotterten Neu-Bohème sind oder nicht (aber natürlich sind wir hier eher bei 3Sat und WOW als bei ZDF und RTL2).
Der Abend, an dem Präauer uns teilhaben lässt, gerät zum Schrecken der Gastgeberin und zur Freude von uns Lesenden bald aus den Fugen, denn die Autorin spielt damit, den Lauf der Dinge zu variieren und die Choreografie zu ändern – Gäste, die gerade noch pünktlich waren, kommen auf einmal später, neue gesellen sich dazu, das Blindbacken einer Quiche ist unabdingbar und im nächsten Moment schon überbewertet. Obwohl KOCHEN IM FALSCHEN JAHRHUNDERT natürlich einen modernen, urbanen Lebensstil sezieren will, ist der 198 Seiten kurze, augenfreundlich gesetzte Text alles andere als eine kühle Versuchsanordnung: Das Buch hat Tempo und Witz (und möglicherweise ein Herz für die Nöte seiner Protagonisten), spielt gekonnt mit den Wahrnehmungsebenen und -möglichkeiten … und ist überraschend sinnlich, ganz egal, ob Handyfotos von zurückliegenden kulinarischen Genüssen uns eigene Novellenwelten öffnen, Hosenanzugreißverschlüsse hochgezogen werden oder die Frage im Raum steht, ob Sex vielleicht auch etwas mit einer offenen Thunfischdose zu tun haben sollte, aus der Öl auf einen edlen Esstisch tropft.
KOCHEN IM FALSCHEN JAHRHUNDERT hat mich, auch dies sei erwähnt, nicht nur auf der inhaltlichen und stilistischen Ebene begeistert, sondern auch als hand- und augenschmeichelndes Produkt: der mit griffigem Papier eingebundene Pappband mit einem Kunstwerk der Autorin auf der Vorderseite (wie hasse ich die „Fettflecken“ oben und unten – und wie sehr erfüllen sie ihre Aufgaben als Schönheitspflaster) und einem perfekt zum Inhalt passenden Foto auf der Rückseite liegt wertig in der Hand und ist höchst Coffeetable-tauglich. Fehlt ein Lesebändchen? Mais non! Stattdessen habe ich mich dabei ertappt, sehr bewusst eine alte, schon etwas abgestoßene Kunstpostkarte als Lesezeichen herausgesucht zu haben.
Charmant, schau und auf bissige Weise kokett – I likey likey like und empfehle dieses Drei- bzw. Vielgangmenü der besonderen Art!
***
Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Teresa Präauer: KOCHEN IM FALSCHEN JAHRHUNDERT. Wallstein Verlag, 2023
Schreibe einen Kommentar