Sehr viel „ach“ und „hach“ und „wunderbar“!

„Und so saß sie da und betrachtete den Himmel, die Wolken hoch oben, und dann sah sie hinunter zu ihren Rosen, sie sich phantastisch gemacht hatten in dem einen Jahr. Sie beugte sich vor und schaute genauer hin – da, gleich hinter der Blüte dort kam noch eine Knospe! Das machte sie richtig froh, der Anblick dieser neuen kleinen Rosenknopse. Und dann lehnte sie sich wieder zurück und dachte an ihren Tod, und das Staunen und die Beklommenheit ergriffen aufs Neue von ihr Besitz. – Er würde kommen. – ‚Tja-ja‘, sagte sie. Und sie saß noch viele Minuten so, ohne recht zu wissen, was sie dachte.“

Warmherzig, widerborstig, traurig, eindringlich, schön – alles Adjektive, die hervorragend zu meinem Leseeindruck von DIE LANGEN ABENDE passen, dem zweiten Episodenroman von Elizabeth Strout über die fabelhafte Olive Kitteridge und über die anderen Bewohner der kleinen Stadt Crosby an der Küste von Maine. Es wird geboren in diesem Buch und es wird gestorben, es gibt kleine Bösartigkeiten und solche, die tiefer schneiden, aber auch Momente des Glücks, die für mich umso wärmer leuchten, weil sie allesamt alltäglich sind und jenseits von großen Chören oder dramatischen Orchestrierungen genau den richtigen Ton treffen.

DIE LANGEN ABENDE erzählt vom Leben, aber auch von seinem Ende, von alten Körpern, von Scham, vom Winter ohne Aussicht auf Frühling, und deswegen durchzieht die 349 von Sabine Roth fließend übersetzten Seiten eine Melancholie, die immer wieder wie (schnallt euch an, jetzt greife ich ganz tief in die Bilderkiste!) ein zarter Nebel aufsteigt. Dass dies, anders als die von mir bemühte Umschreibung, nie in den Gefühlskitsch abgleitet, empfinde ich als ganz große Erzählkunst, die noch dazu tröstlich ist und über das hinaus wirkt, was da auf den Seiten steht: Elizabeth Strout lädt uns immer wieder zum Innehalten ein – und schenkt uns diese ganz besonderen Momente, in denen wir nicht konkret denken und trotzdem das Gefühl haben, etwas verstanden zu haben. Ein ACH, ein HACH, ein WUNDERBAR!

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Elizabeth Strout: DIE LANGEN ABENDE. Aus dem Englischen von Sabine Roth. Luchterhand, 2020