Daniel Schalkos Geschichten mögen nicht ganz taufrisch sein – aber einige haben das Zeug zu Klassikern

„Die schönste Sehnsucht ist die, die ein Leben lang unerfüllt bleibt. Das ist das Wesen der Sehnsucht. Sie ist nicht auf Erfüllung aus. Sonst wäre sie wie Ebola. Ein Virus, das seinen Wirt so schnell tötet, was ihn daran hindert, sich weltweit auszubreiten. Aber die Sehnsucht gibt es überall.“

Da ich doch eigentlich nur Bücher von Frauen lese, bin ich immer irritiert, wenn versehentlich das ein oder andere von einem Mann geschrieben wurde – außer bei diesem, denn ich hatte sehr bewusst Lust, mich dem Werk eines der bestaussehenden Männer der deutschsprachigen Literaturszene anzunähern, zumal dieser mich schon Jahre vor seinem Roman-Ruhm mit seinen Texten begeistert hat.

WIR LASSEN UNS GEHEN, ursprünglich 2012 erschienen – was für die Gesamtbewertung vermutlich nicht unwichtig ist zu wissen – und nun mit coolem Cover neu aufgelegt, versammelt 19 Kurzgeschichten und eine Miniatur, die nichts zur aktuellen Debatte um das Thema Männlichkeit beitragen (Boy, oh Boy, oh Boy oh Boy), sondern allesamt Vertreter einer breitbeinigen und freischwingenden, dabei aber gutgelaunten Gehänge-Attitüde sind: „Färber hatte sich alle Mühe gegeben, die Scheidungsanwälte seiner Frau Schachmatt zu setzen und das Arschloch Conny Franke in die Hölle zu schicken. Als dieser gegen zwölf Uhr im Hotel Mirage mit dem Schwanz in der Hand aufwachte, ahnte er von all dem nichts.“

Ob man heute in einem Text über einen abgehalfterten Schlagerstar, der so gerne Jonny Cash wäre, als skurrilen Tiefpunkt seiner Karriere den Auftritt auf einer „Schwulenhochzeit“ nennen würde? Vielleicht nicht, was zu gleichen Teilen erleichternd und bedauerlich sein kann. Schalkos Figuren sind Alpha-Toxiker, sehr aus der Zeit gefallen und trotzdem in christlichen Parteien noch in Führungspositionen; das Leben ist ein Spiel für sie, in dem stets der Komplettverlust droht und trotzdem nie vorhergesehen wird, zumal die Frauen sie anhimmeln, weil auch ein schlecht pomadisierter Gesamteindruck nebst Hasenscharte verboten sexy sein kann.

Schalko setzt seine Großmäuler mutmaßlich mit einer Grundsympathie ins Scheinwerferlicht, aber gleichzeitig mit so viel mitzulesendem Wiener Schmäh, dass es einfach ein Vergnügen ist, sie stolpern zu sehen – was im Fall der unerwarteten Begegnung mit der aussterbenden Vogelart der Kakapos sogar zu einem ganz besonderen Weihnachtswunders führt. Nur auf den Flirt mit dem Thema Kannibalismus hätte Schalko in „Blind Date“ verzichten können … aber andererseits: Gut, dass er es nicht getan hat.

WIR LASSEN UNS GEHEN kann der unrasierte Ausweg aus einer Leseflaute sein; für mich waren es boshafte Gutenachtgeschichten, die vermutlich eher danach verlangen, dass man dabei an hypermaskulinen Drink nippt, sich aber auch ganz hervorragend mit meinem Beruhigungstee verstanden haben.

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Ich habe dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen, die beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

David Schalko: WIR LASSEN UNS GEHEN. Czernin Verlag, 2012 (und Kiepenheuer & Witsch, 2023)