… und sie sah: Es war gut! Ein Buch wie ein Poetry Slam, das Freude bereitet und uns allen auch noch etwas beibringt

„Wir können abschließend also mit einiger Gewissheit sagen, dass queere Frauen schon immer existiert haben, sogar vor Ellen! Und zwar überall auf der Welt, von England bis China, von Mexiko bis Neuseeland. […] Meine Lieblingsentdeckung ist jedoch die, dass Lesben schon immer echt witzig waren; ein einzigartiger, trockener Humor, den man so nirgends findet. Außerdem haben sich einige (lustige) lesbische Stereotype als wahr erwiesen. Wir haben in der Tat eine Menge Gefühle. […] Wie dieses Buch hoffentlich gezeigt hat, haben queere Frauen enorm hart für ihre Sichtbarkeit und Akzeptanz gekämpft, insofern wäre es unverzeihlich, wenn wir den Kampf jetzt aufgeben würden. Denkt immer auch die Lesben mit, feiert weiterhin die Liebe zwischen Frauen und nennt eure Kinder weiterhin Ann, Anne und Barbara.“

WAS FÜR EIN WUNDERBARES BUCH! Mehr müsste ich eigentlich nicht schreiben, aber auch wenn, es eine zutreffende Beschreibung ist, würde ich Kirsty Loehr beschwingtem Brevier über Frauen, die Frauen lieben, in keiner Weise gerecht werden.

EINE KURZE GESCHICHTE QUEERER FRAUEN trägt uns im Sauseschritt in die griechische Antike und weiter ins deutsche Mittelalter, später zu einer „Frauen-WG“ (haha, von wegen!) im walisischen Llangollen und zu den „Lesbian Herstory Archives“ in Brooklyn. Ach, und Ellen DeGeneres kommt natürlich auch vor. Und Sappho. Und Virgina Woolf darf ebenfalls nicht fehlen.

Viel wichtiger aber: Kirsty Loehr stellt uns Frauen vor, von denen zumindest ich bisher noch nie gehört hatte, was auch bedauerlich ist, weil sie so liebreizende Spitznamen trugen wie „Molly the Bruiser“: So lernen wir beispielsweise die legendäre englische Aufreißerin Anne Lister kennen und die andalusische Prinzessin Wallāda bint al-Mustakfī, die Frauenfußballpionierin Lily Parr und die Amerikanerin Lorraine Hansberry, deren früher Tod das berühmte Lied „To be Young, Gifted, and Black“ von Nina Simone inspirierte. Dazu Loehr: „Habt ihr irgendetwas davon gewusst? Vermutlich nicht, denn die Geschichtsschreibung hasst Lesben, Schwarze Lesben und erfolgreiche Schwarze Lesben.“

EINE KURZE GESCHICHTE QUEERER FRAUEN ist ein Buch gegen das Vergessen, ein Denkmal für Frauen, die heute oftmals vergessen sind und deren Leben in der Regel keine Happy Ends hatte. Denn auf den posthumen „Ruhm“, im Speyer des Jahres 1477 die erste namentlich bekannte Frau gewesen zu sein, die zum Tode verurteilt wurde, weil sie ihre Geliebte mit einem roten Lederdildo beglückte, hätte Katherina Hetzeldorfer vermutlich dankend verzichtet … „Man ertränkte sie im Rhein. Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal einen Strap-on benutzt“, schreibt Loehr dazu. Und diese Schnodderigkeit, die sich durch die gesamten 235 – von Janine Malz fließend übersetzten – Seiten zieht, ist alles andere als respektlos: Kirsty Loehr nimmt dem, was war, nie den Schrecken, setzt diesem aber einen politisch unkorrekten, augenzwinkernden und vor allem trotzigen Humor entgegen. We’re still here, we’re still queer.

Aber waren alle Frauen, die in diesem hinreißenden modernen Reigen an uns vorbeipromenieren, das, was wir heute als lesbisch oder queer bezeichnen würden? Vielleicht nicht. Zum einen gab es diese Begrifflichkeiten damals nicht, zum anderen auch kein Bewusstsein dafür … und wenn das eigene Leben bedroht ist, bietet es sich ganz sicher nicht an, sein Begehren öffentlich zu definieren … Ist es überhaupt wichtig, ob Hildegard von Bingen tatsächlich so viele Vaginen malte, wie Loehr andeutet, und war die sehr intensive Schwärmerei für eine Freundin, die Anne Frank in ihr Tagebuch schrieb (und die von ihrem Vater für die erste Veröffentlichung aus dem Text gestrichen wurde), wirklich mehr als pubertäres Gefühlschaos? Wir wissen es nicht; vielleicht geht es uns auch gar nichts an. Ein Denkanstoß ist es auf jeden Fall. Und Denken hilft nicht nur im Leben ungemein, sondern ist immer auch der erste Schritt zu Toleranz, Akzeptanz und Selbstverständlichkeit.

EINE KURZE GESCHICHTE QUEERER FRAUEN ist ein Lesevergnügen, ganz egal, ob wir einen Einblick bekommen in das komplexe Beziehungsgeflecht von Natalie Barney oder Vita Sackville-West, ob wir erfahren, womit die neuseeländische Feministin Ngahuia Te Awekotuku sich herumschlagen musste, und warum Stormé DeLarverie eine Ikone ist. Und vor allem stellt Kirsty Loehr unter Beweis, dass das „L“ in „Lesbisch“ ganz sicher steht für Liebe, Lachen … und ja, soviel Zeit muss sein: lustvolles Lecken.

Eindeutig Schullektüre-Empfehlung für die Bildung des Herzens! Und HAPPY PRIDE, denn LOVE IS LOVE. Und so.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Kirsty Loehr: EINE KURZE GESCHICHTE QUEERER FRAUEN. Aus dem Englischen von Janine Malz. Aufbau Verlag, 2024