Ein Roman über die japanische Popkultur

„Ich will Masaki gar nicht anfassen. Klar gehe ich auch zu Events, bei denen ich ihm die Hand schütteln darf, aber eigentlich will ich in der Masse der Fans verschwinden. Ich will zu einem Teil des Applauses, der Jubelrufe, der anonymen Danke-Kommentare unter einem seiner Posts werden.“

Japan ist ein Land der Gegensätze – Technologiekonzerne, die für eine Zukunft und Moderne stehen, vor der sich Regierung und wohl auch Teile der Gesellschaft zu sträuben scheinen, eine Einstellung zum Arbeiten, die von Leistungsdruck jenseits jeder Work-Life-Balance geprägt ist, und ein Einsamkeitsministerium, dessen Aufgabe es ist, Menschen aus der Isolation zu helfen – bis zu 1,5 Millionen Menschen sollen sich, niedergerungen unter anderem von einem übergroßen Erwartungsdruck ihrer Umwelt, in ein abgeschottetes Leben in ihren eigenen vier Wänden zurückgezogen haben, das „hikikomori“.

Die letzte Information stammt aus einem SPIEGEL-Artikel, in dem drei Schriftstellerinnen vorgestellt werden, die als „die neuen Murakamis“ stellvertretend stehen für eine neue Generation schreibender Frauen in einer der größten Volkswirtschaften der Welt, die weit entfernt ist von einer (finanziellen) Gleichstellung der Geschlechter. Neben Banana Yoshimoto und Mieko Kawakami wird auch die bereit mit 24 preisgekrönte Rin Usami porträtiert, deren Roman IDOL IN FLAMMEN in der Übersetzung von Luise Steggewentz in diesem Jahr in Deutschland veröffentlicht wurde … und die, das ist ihrer im SPIEGEL-Text erwähnten Entourage wichtig, hohe Literatur schreibt, keine Unterhaltung.

Usami erzählt auf gerade einmal 125 Seiten von Akari, einer Schülerin, die nicht dem Klischee der „fleißigen“ Japanerin zu entsprechen scheint: Sie ist unordentlich, schlecht in der Schule, hat eine massive Konzentrations- und möglicherweise auch Lernschwäche – und ist gleichzeitig eine akribische und von ihren Followern dafür bewunderte Chronistin von allem, was es über den von ihr abgöttisch geliebten Popstar Masaki zu erfahren gibt. Akari, die davon überfordert ist, ein ausgeliehenes Schulbuch rechtzeitig zurückzugeben, kann aufgrund ihrer intensiven Recherche nahezu jede öffentliche Äußerung ihres Idols vorhersagen; während sie bei einfachen Aufgaben scheitert, studiert sie mit Hingabe die Romanvorlagen der Theaterstücke, in denen sie ihren Liebling bewundert. Als dieser einen Skandal nebst Shitstorm auslöst, weil er einen weiblichen Fan geschlagen haben soll – oder verbirgt sich dahinter möglicherweise etwas ganz anderes? – wird Akaris Hingabe auf keinerlei Probe gestellt: Masaki bleibt ihr Lebensmittelpunkt und ihr Halt … ohne dass sie aber ein konkretes Verlangen danach hat, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken.

IDOL IN FLAMMEN hat mich zwiegespalten zurückgelassen: Einerseits empfinde ich die Geschichte als oberflächlich und kann weder eine Beziehung zur Hauptfigur noch zu einer der hingetupften Nebenfiguren aufbauen, die allesamt spannend sein könnten, würden sie nicht nur als Stichwortgebende eingesetzt … andererseits finde ich es interessant, wie viele Themen die Autorin auf so kurzem Raum zu einem durchaus stimmigen Ganzen verwebt (möglicherweise noch mehr, als ich Leser von begrenztem Verstand erkennen kann, wird doch in einer anderen Rezension angedeutet, dass sich eine Vielzahl von Verweisen auf die japanische Geschichte im Text finden).

Und führt Rin Usami uns vielleicht an der Nase herum: Ist Akari, die so sehr (und für mich enervierend) dem Klischee der haltlos durchs Leben stolpernden „Verliererin“ entspricht, möglicherweise begabter, als wir glauben sollen (wie überhaupt die Frage im Raum stehen könnte, ob die bedingungslose Hinwendung zu einem Star wirklich von Schwäche zeugt oder eine eigene Art von Dominanz ist) … und deutet das Ende, bei dem sie sich in eine Art unterwürfige Rolle begibt, um Ordnung in ihr Leben zu bringen, vielleicht die nächste Verpuppungsstufe ihres Fanseins an, in dem sie zu Nana wird, dem Hund, dem es gelang, Peter Pan seinen Schatten zu entreißen?

Also zwei Seelen, ach, in meiner Brust. Aber: Ein Buch, das mich am Ende nach Antworten suchen lässt, ohne offensichtliche Fragen gestellt zu haben, ist ein Buch, das in Erinnerung bleibt – und neugierig macht auf mehr.

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Ich habe dieses Buch von einem Freund geliehen bekommen; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Rin Usami: IDOL IN FLAMMEN. Aus dem Japanischen von Luise Steffewentz. Kiepenheuer & Witsch, 2023