Hätte das Zeug zu mehr gehabt, will aber gar nicht mehr sein als Cosy Read

„Wenn sie sich wirklich bewerben wollte, hatte sie noch jede Menge Arbeit vor sich. Jenny würde es vorerst für sich behalten und Bernard erst davon erzählen, wenn es ernst wurde. Was war besser so. In den neunundfünfzig Jahren ihrer Ehe war das erst das zweite Geheimnis, das sie vor ihm hatte. Das erste lag sicher verwahrt, tief in ihrem Inneren. Es gehörte zu einem anderen Leben, und sie würde es für alle Ewigkeiten fest verschlossen halten.“

Manches Buch findet uns zur richtigen Zeit, und darum konnte ich dieses nun Ende November in einem Moment größerer Ermattung mit Vergnügen und ohne kritisches Hinterfragen lesen: DER SPÄTE RUHM DER MRS. QUINN streift die Feiertage zwar nur am Anfang, vermittelt aber das Grundgefühl eines ordentlich produzierten (und daher mit dem Gefühlskitsch mehr als liebäugelnden) Weihnachtsfilms – behaglich, rührend und trotz aller Vorhersehbarkeit am Ende auf entspannte Art befriedigend.

Die britische Autorin Olivia Ford, die laut Klappentext bisher für das Unterhaltungsfernsehen gearbeitet (und diese mutmaßlichen Dramaturgie-Erfahrung nun zur Grundlage ihres Romandebüts gemacht) hat, erzählt auf 400 augenfreundlich gesetzten Seiten von Jenny Quinn, die sich bei einer TV-Back-Show bewirbt: Eine bodenständige, liebenswürdige 77-jährige aus einer Kleinstadt, deren süße, eher traditionellen Kreationen meist einen Bezug zu ihrer Familiengeschichte haben – von der Schwarzwälder Kirschtorte, die sie ihren Lieben traditionell zum Geburtstag backt, bis zum Tiffin-Konfekt, mit dem ihr Vater sie früher verwöhnte. Aber hat sie sich wirklich gut überlegt, ob sie sich auf dieses Abenteuer einlassen will? Denn womöglich braucht ihr über alles geliebter Ehemann Bernard sie doch dringender, als sie denkt, und selbstverständlich gibt es da ein schmerzhaftes Geheimnis in Jennys Vergangenheit, das sie bisher so sorgsam gehütet hat …

Ich werde nicht spoilern, wobei es keinen Unterschied machen würde, denn DER SPÄTE RUHM DER MRS. QUINN gehört zu den überraschungsärmsten Büchern, die ich in diesem Jahr gelesen habe: Schon nach den ersten Kapiteln weiß man, wie die Geschichte sich entwickeln und wie sich nach einem bewusst in Anführungszeichen gesetzten „dramatischen“ Höhepunkt alles schnell in Wohlgefallen auflösen wird. Auch die Figuren sind von einer so schamlosen Schablonenhaftigkeit, dass es frech sein könnte (und tatsächlich auch ist, denn Figuren wie Ann oder Azeez sind als reine Stichwortgebene eigentlich verschenkt), wenn dies nicht so gut ins Gesamtkonzept passen würde – im Seichten kann man bekanntlich nicht ertrinken, und hier geht es nicht zum Erkenntnisgewinn, sondern um das verlässliche Abhaken von Plotpunkten auf dem Weg zum Happy-(Tears)-End. Einzig die Rückblicke in die Vergangenheit mögen etwas grauer schraffiert sein, als man erwarten könnte, aber auch dies dient – wie die immer wieder erwähnten Düfte und Geschmäcker von Jennys Backwerken – letztendlich nur dazu, die vorherrschende Behaglichkeit des Buchs zu betonen.

Die Übersetzung von Sonja Rebernik-Heidegger hinterlässt einen guten Eindruck, nur an wenigen Stellen wie beim etwas zu wörtlich übertragenen „Kopiere das!“ wäre eine etwas aufmerksamere Redaktion wünschenswert gewesen.

Very sweet, „a bisserl“ britisch und mit Kalenderweisheiten wie „Man ist nie zu alt, um seine Träume zu leben“ abgeschmeckt: DER SPÄTE RUHM DER MRS. QUINN ist eigentlich ein klassischer Taschenbuchstoff für eine längere Zugfahrt, der sich nun, als HC mit Lesebändchen vermogelpackungt und durch den gülden strahlenden Schriftzug über leckerster Kuchenversuchung hübsch ausgestattet, als Weihnachtsgeschenk für alle anbietet, die sich einfach (und gerne!) etwas einlullen lassen wollen.

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Ich habe dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen, die beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Olivia Ford: DER SPÄTE RUHM DER MRS. QUINN. Aus dem Englischen von Sonja Rebnerik-Heidegger. dtv, 2023