Der Attraktivität und dem eindringlichen Blick von Herta Lueger auf dem Einband ihres Buchs BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN kann man sich nur schwer entziehen – aber die Lebenserinnerungen, die sie uns gemeinsam mit ihrer Tochter zugänglich bracht, sind alles andere als schön.

„Es hätte für mich ganz anders ausgehen können, wenn herausgekommen wäre, dass ich zwanzig Jahre führend in der Szene war. Was war so toll, könnte man fragen. Die Macht und das Spiel, jeder buckelte. Ich spürte eine Macht, die ich nicht für möglich gehalten hätte. – Während der Verhandlung hatte mich der Richter gefragt, wie eine wie ich denn ins Milieu käme: ‚Sie sind nicht der Prototyp einer Puffmutter, es muss Ihnen schwergefallen sein.‘ War es mir schwergefallen? Das gängige Vorurteil besagt, dass die meisten Frauen in diesem Geschäft schwache Menschen sein müssen. Doch ich habe mich nie als Opfer empfunden. Ich dachte eher, wenn die anderen das können, kann ich das auch.“

Wenn ein Mensch sich an sein Leben erinnert, das nicht immer den moralischen Vorstellungen einer Mehrheitsgesellschaft entsprochen hat, kann es verführerisch einfach sein, von einer „Skandalbiographie“ zu sprechen – oder aber diesem Menschen eilfertig zur Seite zu springen mit einem „Super, endlich mal jemand, der gegen den Strom schwimmt“ auf den Lippen. Aber so einfach macht es uns die 1947 in Österreich geborene Herta Lueger nicht, die in BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN gemeinsam mit ihrer Tochter Patricia die letzten 70 Jahre revuepassieren lässt.

Würde man das Buch wie einen Roman lesen und die Geschichte, die von den beiden Luegers vor uns aufgeblättert wird, wie Fiktion beurteilen, dann könnte man die gelungene Konstruktion loben, die dichte Taktung und barrierefreie Prosa. Herta erkennt früh, dass das Leben, das ihr vorherbestimmt zu sein scheint, nicht das richtige für sie ist:

„Erst gehst du auf den Rübenacker, dann wirst du geheiratet, kriegst Kinder und machst, was der Mann will. So ungefähr stellte man sich das vor. Und ich dachte mir: Auf den Rübenacker gehe ich nicht.“

Die Damen Lueger erzählen in BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN ohne jeden Voyeurismus oder Exhibitionismus von einem Leben voller Härten

Herta macht stattdessen eine Ausbildung zur Friseurin, heiratet den falschen Mann, mit dem sie das richtige Kind bekommt, das ihr aber nach Ende der Beziehung entzogen wird … und der Anwalt, der seine Hilfe anbietet, erwartet körperliche Gegenleistungen, zu denen sie nicht bereit ist. Ohne ihren Sohn, aber mit dem festen Vorsatz, dem Leben etwas Glück abzutrotzen (oder zumindest Geld), landet Herta im München der 1970er Jahre – und im Rotlichtmilieu, das sie nach anfänglicher Ablehnung als Möglichkeit sieht, sich über Wasser zu halten. So wird aus der jungen Frau vom Land das, was ein Richter später als „Puffmutter“ beschreiben wird, außerdem eine Domina und, nebenbei, noch Mutter einer Tochter.

Herta verdient viel Geld – und verliert es wieder. In ihrem Club gehen gesichtslose Freier ein und aus, aber auch solche, die man sich in einer Verfilmung vorstellen kann, wie der Millionenerbe Schorschi, der Banker Hermann, der nicht nur sein eigenes Geld ausgibt, und Kurt, der fast achtzigjährige Ex-Generaldirektor, der zur Not auch auf einer Stripbühne tanzt, um für die von ihm verehrte Hausdame Stimmung in die Bude zu bringen. Vor allem aber findet Herta Freundinnen und andere Frauen, für die sie sich verantwortlich fühlt; dass diese ihr jeweiliges Kapitel in Hertas Lebensgeschichte nicht überleben, sind bei weitem nicht alle Schicksalsschläge, aber natürlich die traurigsten.

Wollen wir hier einmal mehr Nietzsches „Wenn du lange in den Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich“ bemühen?

Die Bokeh-Lichteffekte auf dem Umschlag des Buchs und auf den Privatfotos der Autorin, die vor jedem Kapitel stehen, verleihen BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN eine glitzernde, fast ins Zauberhafte tendiere Note. Das ist eine schöne Idee ist und transportiert das Schillernde, das Herta Luegers Leben sicher hat(te), entspricht der Realität aber nicht vollumfänglich: Es wird gemordet, betrogen, gestorben, Herta steht mehr als einmal vor dem Nichts. Und wir Lesenden? Spüren den bitteren Beigeschmack dieser Lebenserinnerungen. Der erklärt sich natürlich durch das, was Herta Lueger erlebt hat – ist aber auch eng damit verbunden, wie die beiden Autorinnen davon erzählen: Der Text ist so druckvoll, dass er uns Lesende durch die Kapitel peitscht wie Herta den ein oder anderen Masochisten in ihren Domina-Zeiten … und wirkt zumindest auf mich in der Verdichtung nicht nur abgeklärt, sondern an manchen Stellen fast empathielos.

„Im Burgenland hatte ich angefangen, Abmagerungstabletten zu nehmen, weil ich so schlank sein wollte wie Twiggy. Es war eine Zeit, in der ich meine Weiblichkeit unglaublich ablehnte. Ich wollte keine Kurven und keinen Busen mehr haben, auch hatte ich mir die Haare sehr kurz geschnitten. Alles Weibliche an mir war mir damals ein Gräuel. Im Nachhinein denke ich, dass ich das Gefühl hatte, das all das Schlechte, was mir widerfahren war, dadurch provoziert worden war. Doch statt schlank war ich tablettenabhängig geworden.“

Wenn die Autorin so auf die eigenen Tiefpunkte ihres Lebens blickt, ist das herrlich uneitel. Dass sie in meiner Wahrnehmung auch den Todesfällen um sie herum eher pragmatisch begegnet, hat mich dagegen unangenehm berührt. Doch während ich diese Zeilen schreibe, merke ich, dass diese Schonungslosigkeit mich gleichzeitig auch für Herta Lueger einnimmt – oder zumindest für die Version, der wir auf den vorliegenden 253 Seiten begegnen: BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN ist das Buch einer Überlebenden, die ihre Tränen bereits vergossen hat … und von der ich mir vorstelle, dass sie mich mit hochgezogener Augenbraue mustert: „Passt dir nicht, wie ich das erzähle, Junge? Dann lies ein anderes Buch.“ Nur eins hätte ich mir vom Verlag und seinem Lektorat gewünscht: ein paar Leerzeilen und Absätze mehr, um Atempausen für uns Lesende in diesem donnernden „train of thought“ zu schaffen.

(Was der Verlag dagegen ganz wunderbar gemacht hat: Zwei Bilder von Herlinde Koelbl aufs Vor- und Nachsatzpapier zu drucken, die mit einem gewissen Humor sagen, dass wir hier keine Pretty-Woman-Fantasie erwarten dürfen.)

Patricia und Herta Lueger machen es uns nicht unbedingt leicht, ihr Buch zu mögen oder die Hauptfigur, die man manchmal schütteln möchte. Aber genau deswegen kann man beide(s) lieben.

BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN ist auch deswegen ein gelungenes Buch, weil es nicht versucht, zu glätten, einen Glitzerfilter vor die Linse zu schieben oder aber dramatische Ausrufezeichen zu setzen: Es sind die sicher sorgfältig kuratierten, aber ungeschönten Erinnerungen einer Frau, deren Leben anders verlaufen ist als das von vielen anderen. Vermutlich liegt es nur daran, dass ich als Leser von geringem Verstand oft seltsame Bezüge finde … aber ich musste zwischendurch an HERBSTMILCH von Anna Wimschneider denken, die – wenn auch auf andere Weise – unprätentiös Zeugnis ihres Lebens ablegte. Woran liegt es, dass die Erinnerungen einer Bäuerin konsensfähig sind und sich schnell zum internationalen Bestseller entwickelten, während das Buch von Herta und Patricia Lueger mir eher durch Zufall in die Hände gefallen ist?

„Der Reiz des schnellen Geldes macht blind für die Gefahren, die dieses Leben mit sich bringt“, schreibt Herta Lueger gegen Ende. „Erst als ich ausgestiegen war, erkannte ich, dass Geld, das sich leicht verdienen ließ, genauso leicht wieder ausgegeben wurde. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, es schnell wieder loswerden zu wollen. Es hatte wenig Wert für mich. Das Geld, das ich beim Frisieren verdiene, schätze ich mehr.“ Und so ist dieses Buch, das von einem Leben erzählt, ohne etwas beichten zu müssen, am Ende vielleicht doch ein Buch, mit dem die eingangs erwähnte Mehrheitsgesellschaft sich moralisch arrangieren kann. Weswegen ich es umso wichtiger finde, dass die letzten Zeilen dieser Rezension an die Frauen erinnern, die das Erscheinen von BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN nicht erlebt haben: „Es kommt nicht von ungefähr, dass in dieser Szene bei kaum jemandem etwas bleibt, und zu viele bezahlen noch dazu mit dem Leben. Ich habe Glück gehabt, aber viele andere, Menschen wie Aline, Sun oder Gigliola, nicht.“

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Ich habe dieses Buch selbst im niedergelassenen und unabhängigen Buchhandel gekauft. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Patricia und Herta Lueger: BARDAME GESUCHT – ZIMMER VORHANDEN. Matthes & Seitz Berlin, 2025.