Wegen des Covers gekauft – wegen der Langatmigkeit sofort wieder vergessen

„Manchmal überlegte ich, ob ich das Haus vielleicht auch auf andere Weise nutzen könnte, wenn mein Vater einmal nicht mehr da wäre, so wie jetzt als Zuflucht für das Museum. Ich könnte eine Kunstsammlung eröffnen, oder ein Genesungsheim oder sogar eine Schule. Doch dann wiederum erschien es mir nicht richtig, wehrlose Menschen in dieses Haus einzuladen, das meine Mutter und mich im Laufe unseres Lebens in den Wahnsinn getrieben hatte, und ich war mir sicher, dass in diesen Mauern immer noch etwas Verborgenes lauerte, etwas – jemand – Böses, Gemeines, Verabscheuungswürdiges.“

Als Konsument von begrenztem Verstand wähle ich Wein meist nach dem Etikette aus, wohl wissend, dass eine schmucke Gestaltung wenig verrät über zu erwartende Gaumenfreuden oder Kopfschmerzen der Güteklasse „Herr, erbarme dich“ – aber wie viele andere Abenteuer hält das Leben schon bereit für den rapide alternden Großstadtmenschen? Und so habe ich mich auch bei diesem Buch gerne von der sehr schönen Covergestaltung zum Kauf verführen lassen, zumal sich die ersten paar Seiten im Laden einfach wunderbar lasen und etwas anderes versprachen, als sich dann tatsächlich auf gefühlt 6.782 Seiten entspann.

Im Mittelpunkt von DIE STUMMEN WÄCHTER VON LOCKWOOD MANOR steht Hetty, eine optisch wie auch charakterlich blasse Mitarbeiterin des Londoner Natural History Museum, die einen Teil der Sammlung auf dem titelgebenden Landsitz in Sicherheit bringen soll. Hier trifft sie auf den düsteren Major Lockwood und dessen bezaubernde, aber psychisch labile Tochter Lucy, unwilliges Personal und – möglicherweise – auf die „Weiße Frau“, ein unheimliches Geistwesen, das die jüngst verstorbene Lady Lockwood in Angst und Schrecken versetzte. Bald kommt es zu merkwürdigen Zwischenfällen … (Und nun: Spoilers ahead!)

Erwartet habe ich von DIE STUMMEN WÄCHTER VON LOCKWOOD MANOR eine Downton-Abbey-esque-Geschichte, vielleicht with a touch of Barbara Pym oder Evelyn Waugh, und keinen Schauerroman, in dem Jane Healey vergnügt Motive der Schwarzen Romantik zitiert, eine lesbische Liebesgeschichte aus dem Hut zaubert und für allerlei übernatürlich anmutende Bedrohungen beim dramatischen Höhepunkt eine halbwegs überraschende, aber denkbar einfache und entsprechend wenig befriedigende Erklärung präsentiert; immerhin: Es war nicht der Gärtner.

Healey versteht es hervorragend, eine dräuende Atmosphäre aufzubauen, uns Lesende mit filmreifen Szenen in die Geschichte zu ziehen und auch dann bei der Stange zu halten, wenn die Handlung zwischenzeitlich auf der Stelle tritt (in diesem Zusammenhang sei außerdem erwähnt, dass die Übersetzung von Susanne Keller einen hervorragenden, weil ohne Stolpersteine dahinfließenden Eindruck macht) – inwieweit dies zum Genre gehört, kann ich nicht sagen. Die Autorin hätte meiner Meinung nach aber ein strengeres Lektorat verdient: Verdichtet auf 280 statt 378 Seiten wäre der Roman sicher ein Genuss, in der nun vorliegenden Form aber gleicht er für mich einer Weinschorle, die mit zu viel zimmertemperiertem Leitungswasser zwar den Durst stillen mag, aber kein größeres Vergnügen bereitet.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Jane Healey: DIE STUMMEN WÄCHTER VON LOCKWOOD MANOR. Aus dem Englischen von Susanne Keller. hanser blau Verlag, 2020