Auch großartige Autorinnen können enttäuschende Bücher schreiben
„Die Frau meines Vaters war gestorben. Meine Mutter sagte, wir sollten hinfahren und sehen, ob es für uns was zu holen gibt.“
Als großer Fan ihres Kurzgeschichtenbandes ZWISCHEN HIER UND JETZT und MEINE ZEIT MIT ELEANOR, diese Liebeserklärung an kantige Frauenfiguren, habe ich mich sehr gefreut auf WIR GLÜCKLICHEN – aber leider hat mich Amy Bloom mit diesem von Kathrin Razum übersetzten, gefühlskalten Hohelied auf Täuschung und Manipulation wenig begeistert.
Amerika, Ende der 1930er und Anfang der 1940 Jahre: Eva, uneheliches Kind einer sehr jungen Mutter, wird von ebendieser bei ihrem Vater zurückgelassen – und bei dessen Tochter Iris, die so viel hübscher und ambitionierter ist als ihre kleine Schwester. Was folgt ist eine Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen, großen Hoffnungen sowie kleineren (und nicht ganz so unbedeutenden) Gaunereien, zu denen neben dem geschäftsmäßigen Tarotkartenlegen auch Kindesentführung gehört. Die skrupellose Hollywood-Klatschtante Hedda Hopper spielt ebenso eine Rolle wie die Furcht der Amerikaner vor Spionen und die Bombenangriffe, mit denen die britische Luftwaffe den Durchhaltewillen der deutschen Bevölkerung brechen wollte … und wer sich nun fragt, wie das alles zusammenpassen soll mit lesbischer Liebe, Identitätstausch, einem echten Wahrsager und einem Happyend, das tatsächlich so bewegend und schön ist, dass man fast vergessen könnte, wie teuer es erkauft wurde, dem sei gesagt: Hier passt wirklich nichts zusammen.
WIR GLÜCKLICHEN ist ein Kessel Buntes, bei dem man selbst im Schleudergang nicht mitgerissen wird, voll amoralischer Figuren, die möglicherweise faszinieren könnten, wenn die Autorin sich die Zeit nehmen würde, etwas aus ihnen zu machen; stattdessen lässt sie alle recht haltlos durch ein (wie die Brigitte schrieb) „amerikanisches Generationenporträt“ taumeln – „so unberechenbar und spannend wie das Leben selbst“? Nicht für mich Leser von geringem Verstand … aber immerhin eine Erinnerung daran, welches Geschenk EINE FRAGE DER HÖFLICHKEIT von Amor Towles, SAINT MAZIE von Jamie Attenberg und CITY OF GIRLS von Elizabeth Gilbert sind.
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Amy Bloom: WIR GLÜCKLICHEN. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. Atlantik Verlag, 2015
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