Monika Kim hat einen Roman geschrieben, der Fans des New-Adult-Genres eine eiskalte (oder körperwarme?) Alternative zu den bekannten Tropes bietet – denn: DAS BESTE SIND DIE AUGEN!

„Der Anblick des Mannes löst eine Bilderflut in mir aus: George, wie er schlafend auf der Couch liegt. George, wie er mich über den Tisch hinweg anstarrt. George, wie er mit speichelverschmierten Fingern das abgelutschte Fischauge drückt. George und sein Lächeln. George und seine blauen Augen.“

Faktencheck 1: Eigentlich ist das Leben von Jiwon in Ordnung; sie hat gerade mit dem Studium begonnen, dadurch einen sehr um sie bemühten Typen kennengelernt und in einem anderen Seminar eine Frau, mit der sie sich gerne anfreunden würde. Und ihre koreanische Mutter, die in den letzten Monaten so unter der Trennung von Jiwons Vater gelitten hat? Scheint endlich wieder Grund zur Freude zu haben.

Faktencheck 2: Ja, nee. So rosig ist das alles nicht. Denn eigentlich wäre Jiwon lieber auf einer ganz anderen Uni. Ihr so zuvorkommender Mitstudent ist eine wandelnde Red Flag. Und der neue Freund der Mutter? Entpuppt sich schon beim ersten Kennenlernen als Zerrbild des „All American Guy“, der seine rassistischen und sexistischen Einstellungen selbstzufrieden ausdünstet wie ein billiges Aftershave. Aber so sehr sein Verhalten Jiwon auch anwidert: George hat diese unfassbar blauen Augen, die eine geradezu hypnotische Anziehungskraft auf sie ausüben. Und hat sie nicht von ihrer Mutter gelernt, dass die Augen eines gebratenen Fischs das Beste sind … und es noch dazu Glück bringt, sie zu verspeisen?

Was für ein Roman ist DAS BESTE SIND DIE AUGEN von Monika Kim?

Herzlich Willkommen im „Weird Girl Summer 2025“ – und in dieser Rezension, die möglicherweise Spoiler enthält.

DAS BESTE SIND DIE AUGEN liest sich wie die rasante Episode einer Teenie-Serie, für die Quentin Tarantino das Drehbuch geschrieben hat. Was ganz harmlos beginnt, nimmt schnell Fahrt auf – und ist auch deswegen ein ungewöhnliches Lesevergnügen, weil Monika Kim geschickt mit dem Ekelfaktor flirtet … und dabei offen lässt, was hier mehr abstoßen soll: der Appetit auf menschliches Protein oder das toxische Verhalten des männlichen Personals.

Obwohl die Vermutung nahe liegt – und der Verlag dies aus Werbezwecken gerne unterstreicht –, hat die koreanisch-amerikanische Autorin Monika Kim meiner Meinung nach keinen Horrorroman geschrieben: DAS BESTE SIND DIE AUGEN spielt natürlich mit dem Grusel, den diese spezielle Form von Kannibalismus in uns auslöst (und hoffentlich auch jede andere), aber die wenigen FSK-16-Szenen werden Genre-Connaisseure und Conaisseusen nicht einmal leicht schaudern lassen; die Autorin jongliert stattdessen sehr geschickt mit den Empfindlichkeiten eines Mainstream-Publikums und parfümiert ihren Text eher mit dem Unsagbaren, als es raumgreifend einzusetzen. Hier geht es nicht um Splatter, sondern um Angst, Wut und die Selbstermächtigungstaktiken einer jungen Erwachsenen … und darum, dass Jiwon nicht so unschuldig ist, wie man am Anfang denken könnte.

Ist DAS BESTE SIND DIE AUGEN ein Zeitgeist-Wiedergänger von Stephen Kings CARRIE? An dessen Themenvielfalt kommt Monika Kims Roman meiner Meinung nach nicht heran, sondern findet seine Stärken in einer gegen den Strich gebürstete Bubble-Gum-Glossigkeit statt in einer in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit Misogynie, Rassismus oder den Stolperfallen des Heranwachsens.

Den Großteil seiner Faszination hat der von Jasmin Humburg fließend aus dem Englischen übersetzte Roman für mich, weil man von der Autorin zwar sehr gut durch die Geschichte gelotst wird, sich aber trotz deutlicher Orientierungshilfe bei den Nebenfiguren zunehmend nicht sicher sein kann, ob Jiwon selbst eine liebenswerte Person ist, die durch äußere Umstände in den Wahn abrutscht – oder sich hinter ihrem Allerweltsgesicht von Anfang an eine brillante Psychopathin verbirgt, die zu einem Patrick Bateman heranreifen wird, dem „Helden“ aus dem Weltbestseller AMERICAN PSYCHO.

Ich bin vermutlich zu alt für dieses Buch – freue mich aber über das Gefühl, beim Lesen für ein paar Stunden wieder 30 Jahre jünger zu sein

Ebendieser Thriller, der in Deutschland lange auf dem Index für jugendgefährdende Schriften stand, ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, was nun – hoffentlich! – elegant den Bogen schlägt zu dem Problem, das ich mit DAS BESTE SIND DIE AUGEN habe: Monika Kims Roman ist dort im neuen Verlagsimprint kiwi sphere erschienen, mit dem der Kölner Traditionsverlag sich seine Scheibe vom boomenden New-Adult-Markt mit seinen jungen Figuren und hübschen Farbschnitten sichern möchte. Klar, das wusste ich, als ich mich von der bemerkenswerten Ausstattung des Buchs zum Lesen verführen ließ (und vom Sirenengesang der Programmleiterin, ich geb’s ja zu). Dass ich nun genau das bekommen habe, nämlich einen Roman für Teenager und „junge Erwachsene“, der deswegen an manchen Stellen nicht so reflektiert, fordernd und „erwachsen“ ist, wie ich es mir gewünscht hätte … ist natürlich mein Problem, nicht das des Buchs.

Applaus gibt es von mir aber auf jeden Fall für den programmatischen Mut, diesen Roman – der eben nicht auf die allzu bekannten Tropes des Genres setzt – zum Spitzentitel des Startprogramms zu machen. Und noch dazu habe ich die 344 Seiten in einem Zug und mit mindestens so viel Vergnügen verschlungen wie Jiwon das ein oder andere Auge. Ob wir mehr Body Horror in Romanen brauchen oder mehr Weird Girls, das mögen andere entscheiden. Aber weibliche Wut, die sich nicht damit aufhält, den Konsens zu suchen? IMMER HER DAMIT! Und wäre ich 30 Jahre jünger: Ich würde DAS BESTE SIND DIE AUGEN nicht nur mögen, sondern lieben!

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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern das Leseexemplar von der wunderbaren Programmleiterin geschenkt bekommen. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Monika Kim: DAS BESTE SIND DIE AUGEN. Aus dem Englischen von Jasmin Humburg. kiwi sphere, 2025