Ein Noir-Krimi über die Schattenseiten des alten Hollywoods – vom Verlag lieblos behandelt

„Sie musterte ihn, wie sie zuvor die Band gemustert hatte – mit schmalen Augen und einem Ausdruck, der sagte: Das gefällt mir schon besser. – ‚Woher sind Sie gekommen?‘, hörte er seine Stimme fragen. – ‚Aus einem Orkan‘, sagte sie.“

Hollywood 1938. Niemand kennt sie, als sie vom Bahnhof kommend im mondänen Beverley Hills Hotel eincheckt – aber niemand, der die schöne Blondine mit der Narbe im Gesicht gesehen hat, wird sie je vergessen. Ihr Name ist Evelyn Ross; ihr Plan ist es, soviel wie möglich zu erleben, zuerst in der Stadt der Engel und dann im Rest ihres Lebens. Doch zuvor bekommt ihre beste Freundin einen Erpresserbrief, und eine Frau dieser Zeit scheint keine andere Wahl zu haben, als sich brav und ängstlich dem Schicksal zu fügen. Aber Eve ist vieles … und eine Frau ihrer Zeit nur dann, wenn es ihr gefällt.

Bekannt geworden ist Amor Towles mit seinen Romanen EINE FRAGE DER HÖFLICHKEIT, EIN GENTLEMAN IN MOSKAU und zuletzt LINCOLN HIGHWAY, drei sehr unterschiedliche Bücher, die mich ausnahmslos begeistert haben. Mit EVE legt der US-amerikanische Autor nun einmal mehr etwas ganz anderes vor, einen – wenn auch eher sanftmütigen – Noir Krimi. Es treten auf: Ein Polizist im Ruhestand, ein ehemaliger Schauspielstar, dessen Leibesumfang seine Karriere beendet hat, ein schwatzsüchtiger Filmproduzent, die Schauspielerin Olivia de Havilland, die nicht nur unter Scheinwerfern schillert, und ein paar Männer, die alles andere als Lichtgestalten sind. Und natürlich: Eve! Glamourös, geheimnisvoll, überlegen, weil mit einem schnellen Verstand gesegnet … und ohne eine konkrete Vorstellung davon, wie gefährlich eine Situation für sie werden kann.

Für Spannungsleser wird sich der Nervenkitzel auf den 223 von Susanne Höbel fließend ins Deutsche übertragenen Seiten zwar in überschaubaren Grenzen halten, aber für mich war der aus verschiedenen Blickwinkeln erzählte Fall ein großes, weil elegantes Vergnügen – wer Towles liebt, wird hier auf seine Kosten kommen.

Wer Towles möglicherweise nicht liebt, ist sein deutscher Verlag, denn es überrascht, mit welcher Lieblosigkeit dieses Buch ausgestattet wurde (ein regelrechter „Fünf-Sterne Mickey Finn“, um in der Welt der Geschichte zu bleiben). Möglicherweise musste Papier gespart werden, das würde die geringe Schriftgröße bei recht hohem Buchformat erklären, und dafür kann man Verständnis aufbringen.

Weniger nachvollziehbar bleibt, was sich die Verantwortlichen bei der Schutzumschlaggestaltung gedacht haben. Wenn man schon ein Foto verwendet, das kaum von einer KI-generierten Abbildung zu unterscheiden ist, würde es naheliegen, die Optik durch Schmuckelemente oder die Schriftgestaltung aufzuwerten – stattdessen wurde für den Titel eine Typo verwendet, die eher in die 70er Jahren passt als in die 30er. Vielleicht wollte man sich nicht zu sehr mit dem Inhalt beschäftigen? Die lieblosen Klappen- und Rückseitentexte sprächen dafür; mutmaßlich ist Hanser zu literarisch für Krimis, weswegen das Buch zur Gesellschaftssatire umgedeutet wurde – aber eine New Yorkerin zur Frau aus der Provinz umzudeuten, nun …?

Und last but not least: Wäre es zu viel verlangt gewesen, dem Buch ein Nachwort des Autors zu spendieren, in dem er erklärt, wie es zu EVE kam – immerhin erzählt es die Geschichte einer der Figuren aus Towles‘ Debüt weiter, und das mit einer undurchsichtigen Publikationshistorie? Offen bleibt auch die Frage, ob deutsche Lesende sich auf die Übersetzung seiner Kurzgeschichten freuen dürfen, die in Amerika gemeinsam in einem Sammelband mit EVE (IN HOLLYWOOD) erschienen – über den die New York Times immerhin schrieb: „Scharfsinnige Satire, verpackt wie eine Schachtel Neuhaus-Pralinen: Dieses Buch ist ein Hauptgewinn!“

Vermutlich bin ich zu kritisch? Und was soll ich sagen: Ich bin es gerne! Denn Amor Towles und seine Bücher verdienen Aufmerksamkeit, nicht nur von Lesenden.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Amor Towles: EVE. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. Carl Hanser Verlag, 2024