In seinem Essay SIND PENISSE REAL? geht Evan Tepest der Frage nach, was einen Mann möglicherweise zum Mann macht – oder auch nicht

„Keine Entscheidung in meinem Leben ist so richtig gewesen wie die Transition. Noch nie habe ich mich so wohl in meinem Körper gefühlt. Und noch nie habe ich mich so häufig in Luft auflösen wollen.“

Als ich SIND PENISSE REAL? in der Programmvorschau von Piper entdeckte, hat mich der Titel neugierig gemacht, weil es eine rhetorische Frage zu sein scheint – auf die es allerdings keine eindeutige Antwort gibt. Denn sie lautet „ja“ und „nein“. Und über das „vielleicht“ dazwischen schreibt der Autor Evan Tepest, der bekannt wurde durch seinen vielgerühmten Essayband POWER BOTTOM und den Roman SCHREIB DEN NAMEN DEINER MUTTER, auf 117 Seiten, die mir in mancher Hinsicht die Augen geöffnet haben – auch wenn ich für den Erkenntnisgewinn zum Teil ein paar Wochen Abstand zum Text brauchte.

Ein Privileg ist oft etwas, was man selbst als normal (im Sinne von: nicht weiter bedenkenswert) ansieht, obwohl man von anderen Menschen darum beneidet wird – das gilt für meine Staatsangehörigkeit ebenso wie für meine Körpergröße, wobei diese zu gleichen Teilen Vorteil und Last ist. Wahrscheinlich ist es darum nicht verwunderlich, dass ich mir zwar schon Gedanken über die Einsatzmöglichkeiten meines Penis gemacht habe, aber nie darüber, wie es wäre, ihn nicht zu haben.

Es soll hier nicht um mich gehen, sondern um das Buch von Evan Tepest; um dies würdigen zu können, muss ich aber möglicherweise festhalten, dass ich mein Selbstbild und die Definition meiner Männlichkeit nie bewusst mit meinem Genital in Verbindung gebracht habe. Es ist da, das Ding. Na und? Aber so einfach es für mich ist, umso komplizierter kann es sein für einen trans Mann.

Was hat der Penis mit Gefühlen zu tun?

„Wie viele transmaskuline Personen scheute ich mich davor, ein Mann zu werden“, schreibt Evan Tepest. „In meinen Augen waren diese mächtig, gerade weil sie von ihren Emotionen abgeschnitten waren – und stellten dadurch eine Gefahr für alle anderen dar. Lieber wollte ich ein Junge bleiben. Dabei ist auch die männliche weiße Jugend ein Ausbund an Privilegien – und alles andere als unschuldig. Sie zeichnet sich gerade dadurch aus, wild und grausam sein zu dürfen. Boys will be boys.“

Was macht einen Mann zum Mann? Die Frage, die schon Herbert Grönemeyer stellte, lässt sich nicht nur biologisch beantworten – und so verfolgt Evan Tepest auch einen anderen Ansatz, wenn er schreibt, wie sich seine Emotionalität durch die Erwartungshaltung der Gesellschaft auf der einen und seine Erfahrung durch die Transition auf der anderen Seite geändert hat:

„Weinen kann ich seither nur, wenn ich Sport-Dokus anschaue, in denen sich Männer nach einer Niederlage in den Armen liegen oder an ihre größten Erfolge zurückdenken. […] Dabei will ich kein Mann sein, der aus seinem Herzen eine Mördergrube macht.“

Dass es viele Männer gibt, die mit ihren Gefühlen hadern, steht außer Frage. Überrascht – und auch erschreckt – hat mich, dass der Penis für Evan Tepest untrennbar mit einem Gewaltpotential verbunden zu sein scheint, ein großer übrigens mehr als einer, den er als seine persönliche Wunschvorstellung bezeichnet: „klein und harmlos.“

Wir erfahren, dass seine früheren sexuellen Fantasien davon handelten, durch einen in ihn eindringenden Penis „gezeichnet“ zu werden, durch eine Krankheit oder Schwangerschaft; er erkennt schließlich, dass „meine Vernichtungsfantasien von Vergewaltigungen, mein breeding-Kink, mein ganzes fucked-up Verhältnis zum Penis Akte der Selbstbehauptung“ sind. Das war für mich zunächst … ja, was eigentlich? Vielleicht kann man es tatsächlich einen Affront nennen, weil ich Evan Tepests Sicht der Dinge oft schwer nachvollziehbar fand. Aber: Lesen macht das Denken frei, und inzwischen bin ich dem Autor dankbar für seine Offenheit und seine Schonungslosigkeit sich und uns gegenüber.

SIND PENISSE REAL ist ein Buch, das mich mit vielen Fragezeichen konfrontiert hat, über das, was ich über die Lebensrealität eines anderen Menschen (und Mannes) erfahren darf und spannend finde, aber natürlich auch in Hinblick auf mein eigenes Empfinden für mich selbst und andere. In meinem Kopf scheint es gar nicht so schwer zu sein, dass Männlichkeit auch ohne Penis funktioniert … was aber vermutlich daran liegt, dass es für mich eine abstrakte Vorstellung bleibt. „Keinen Penis zu haben, verringert meine Männlichkeit nicht, und mir wird ohne Penis immer etwas fehlen“, löst Evan Tepest einen Gegensatz auf, ohne ihn zu negieren, und lässt ganz nebenbei auch eine Wahrheit fallen, die auch für die allermeisten cis Männer gelten dürfte: „Ich werde immer auf dem Weg sein, der Mann zu werden, der ich immer schon gewesen bin.“

Zu groß, zu schlaff, zu irgendwie

Auf seiner Suche nach Antworten spricht der Autor mit Rami, der sich für seinen zu großen Penis schämt und ihn nicht gerne zum penetrativen Einsatz bringt, und Lucio, der dank seiner Schwanzgröße Geld bei JustforFriends verdient, während seine private sexuelle Bucket-List „wenig mit dem hetero- und homonormativen Bild ‚Penis und Körperöffnung‘ zu tun hat. Auch beruflich reizte es ihn viel mehr, zu fisten oder Sex mit Körpern abseits der Geschlechternorm zu haben.“

Wir lernen außerdem Georg kennen, Anfang 50, bei dem nicht die Größe das Problem ist, sondern der Aggregatzustand: Er hat seit seiner Jugend Erektionsprobleme. Dass er diese nun durch Viagra in den Griff bekommen hat, ist positiv für seine Ehe, aber „seitdem hat sein Penis für ihn an Bedeutung verloren. Ich hörte eine Spur von Bedauern in seiner Stimme.“ Ganz anders ist das bei Maxi, die (!) nie ein Problem damit hatte, hart zu werden – sich aber als Teil ihrer Transition für eine Vaginoplastik entscheidet.

Ist diese Anpassung das Ziel aller trans Menschen? „Seit meiner Mastektomie fragen mich einmal pro Woche random Leute, ob ich noch weitere Operationen will“, schreibt Evan Tepest, und man möchte Menschen, die solche übergriffigen Fragen stellen, anbrüllen – auch wenn die Möglichkeit besteht, dass man bei sich selbst anfangen müsste. „Schließlich glauben viele Menschen daran, dass der Penis den Mann ausmacht, vom ersten Ultraschallbild bis zum Tod. Dass manche Personen sich einen zulegen oder ihn aufgeben könnten, muss sie gleichsam mit Faszination wie mit panischer Angst erfüllen.“ Wir erfahren, wie wohl Evan Tepest sich fühlt, wenn er als Mann wahrgenommen wird – und wie beschämend es für ihn ist, wenn das Gegenteil passiert. Den Hass, dem gerade trans Frauen ausgesetzt sind, klammert der Autor in seinem Essay aus; umso wichtiger, hier noch einmal zu sagen: Trans Rights are Human Rights.

Alle Wege führen nach Rom … und vielleicht auch zum Penis? Evan Tepest verrät, dass er verschiedene Strapons besitzt, von denen einer glatt ist und schwarz und 11,6 Zentimeter lang, ein anderer „klein und so designt, dass er möglichst realistisch aussieht, wie ein von Adern durchzogenes Stück Fleisch“. Und wer es noch realistischer haben möchte? Dem kann Sofia Koskeridou weiterhelfen, die transmaskulinen Personen Genitalprothesen auf den Leib schneidert, die z.B. auch das Pinkeln im Stehen ermöglichen sollen.

In München steht ein Hofbräuhaus – und eine „Pimmelfabrik“ …

Natürlich gibt es noch eine andere Möglichkeit für einen trans Mann – so wie für Damian, der sich seinen Penis operativ in der „berüchtigten Lubos-Klinik“ formen ließ, die er als „Pimmelfabrik“ bezeichnet, da man dort „etwa 150 Phalloplastiken im Jahr durchführt“; Damian verbrachte dort sechs Wochen, in denen er viermal operiert wurde.

Wir erfahren, in welchen Schritten eine Phalloplastik aufgebaut wird – und auch ihre Schwachstelle: Die Pumpen, mit denen Erektionen auf Knopfdruck funktionieren, geben oft nach kurzer Zeit den Geist auf: „Die Vorsitzenden von Transmann e.V. haben mir gesagt, dass der Großteil ihrer Arbeit darin besteht, Menschen aufzufangen, deren Pumpen kaputtgegangen sind.“ Das ist eine Information, die ich zunächst als interessant abspeicherte – wie verheerend es für die Männer sein muss, habe ich erst später begriffen.

Und so geht es mir mit dem ganzen Buch von Evan Tepest: Man liest es schnell, man lernt viel, man fragt sich hin und wieder, ob es dieses und jenes nun wirklich gebraucht hätte oder ob es anderes gibt, was (noch) spannender gewesen wäre. Und manchmal habe ich mich schon sehr an der Sicht des Autors reiben müssen. SIND PENISSE REAL beantwortet die titelgebende Frage nicht, zumal sie eben nicht rhetorisch ist – aber dieses Essay öffnet uns viele Verständnisfenster und wirkt, wenn wir uns darauf einlassen, nach. Es ist aber nicht nur ein provokantes, schlaues, durchaus auch warmes Buch … sondern auch eins, in dem hin und wieder ein Humor aufblitzt, mit dem ich diese Gedankensammlung abschließen möchte (natürlich nicht ohne den Hinweis, dass ich sehr auf eure Meinungen zu diesem Buch gespannt bin):

„Ich hatte ein ganzes Planetensystem auf dem Arm tätowiert“, erzählt der bereits erwähnte Darius, „und ein Teil davon ist durch die Transplantation auf meinem Penis gelandet. Mein Chirurg war ganz stolz darauf, dass es so aussieht, als hätte ich mir das direkt auf den Penis stechen lassen.“

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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Evan Tepest: SIND PENISSE REAL? Ein Essay. Piper Verlag, 2025