Der Börsenverein des deutschen Buchhandels feiert seinen 200. Geburtstag und die Buchbranche mit einem großen Kongress in Berlin: NEUE KAPITEL. Wir gehen rein!
Und ganz am Ende? Motiviert die Buchhändlerin Sarah Reul, die das letzte Panel auf der Main Stage moderiert (und auf Instagram weltberühmt ist unter dem Namen Pinkfish), die Zuhörenden dazu, ein imaginäres Streichholz anzuzünden und eine Begeisterungsrakete starten zu lassen. Kann es einen schöneren Schlussakkord geben? (Wie der aussah, kann man übrigens HIER sehen.)
Aber der Reihe nach:
Am 5. und 6. Juni 2025 richtete der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, in den Wilhelm-Studios zu Berlin einen Kongress aus. Der Name: NEUE KAPITEL. Der Anspruch: „Diskutieren Sie mit Kolleg*innen aus der Buchbranche die Themen der Zukunft. Inspirierende Keynotes, spannende Diskussionen und Workshops zu aktuellen Praxisthemen – Sie erwartet ein vielfältiges Programm mit hochkarätigen Speaker*innen sowie ganz konkreten Ideen, Beispielen und Lösungsansätzen.“
Das Ambiente war großartig, die Branche frisch geduscht, und den donnernden Applaus, den das Börsenverein-Team kurz vor Ende der Veranstaltung bekam, hat es vollumfänglich verdient – für zwei Jahren Arbeit im Hintergrund und eine entspannte, freundliche Zugewandtheit vor Ort.
Was wurde geboten beim NEUE-KAPITEL-Kongress des Börsenvereins?
Los ging es mit dem Grußwort der Börsenverein-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs, das man HIER im Wortlaut nachlesen kann. Es folgten 31 Vorträge, Präsentationen und Gesprächsrunden – plus eine Preisverleihung – standen auf dem Programm, und da diese mit Ausnahme der Keynotes parallel in vier Räumen stattfanden, war die Chance groß, Highlights zu verpassen. Aber Gespräche finden auch jenseits der Bühnen statt, und darum war es geschickt, durch die Verknappung der Koffeinausgabestellen (zwei für Hunderte Teilnehmende) für Gesprächsmöglichkeiten in der Schlange zu sorgen.

Ungeteilte Aufmerksamkeit war den Keynote-Speaker*innen sicher, und da Robert Habeck, Hadija Haruna-Oelker, Miriam Meckel, Martin Andree und Stefan Carsten geübte Redner*innen sind, war es ein großes Vergnügen, ihnen zuzuhören. Auch die Panels und Vorträge – die ich ganz oder FOMO-getrieben im steten Weitereilen hörte –waren oft hervorragende Darstellung von Ist-Zuständen … aber ein motivierendes „Probier dies aus!“ und „Wie können wir das umsetzen?“ habe ich manchmal vermisst; sicher ist dies mehr mein persönliches Problem als das der Veranstaltung.
Und immerhin: Über die von einem Buchhändler aus der Buchhandlung Bücherträume nach der ersten Keynote gestellten Frage zum Umgang mit queerer Literatur im Laden (weiterhin auf dem eigenen Regalbrett hervorheben oder als Zeichen von gesellschaftlicher Normalität zwischen den heteronormativen Geschichten einordnen, dadurch aber unsichtbar machen) habe ich mit vielen Menschen gesprochen.

Was habe ich überhaupt auf diesem hochkarätig besetzten Kongress des Börsenvereins verloren?
Bin ich mit den beiden Panels, die ich moderieren durfte, meinem Anspruch gerecht geworden? Am Donnerstag habe ich unter dem Titel COMMUNITY-LESEN mit Sylvia Anderle von der Buchhandlung Lünebuch (die ich, man möge es mir verzeihen, nonstop Lüneburg genannt habe), Helen Daughtrey, der Gründerin der Online-Lesecommunity Mädels, die lesen, Magda Birkmann, deren Literaturnewsletter eine Klasse für sich ist (und den man HIER abonnieren kann), und Mona Lang von Kiepenheuer & Witsch darüber gesprochen, wie sie Menschen für das Lesen begeistern.

Noch praxisorientierter wurde es beim Panel LESEBOTSCHAFTER*IN WERDEN, bei dem ich Lennart Schaefer, der mit der Literadtour auf Deutschlandreise ist, und der Bestsellerautorin Meike Werkmeister den Rahmen für ihre Erfahrungsberichte geben durfte.
„Du kennst hier ja jeden“, sagte eine Gesprächspartnerin – und tatsächlich war NEUE KAPITEL ein Wiedersehen mit vielen Bekannten. Das ist wunderbar, die Klassenfahrt-Stimmung ein Geschenk. Die Eintrittspreise sorgten möglicherweise dafür, dass neue Gesichter und der Nachwuchs gefühlt unterpräsentiert waren? Immerhin lautete der Titel einer sehr guten Gesprächsrunde schon einmal VIELFALT ALS ERFOLGSREZEPT.
Denis Scheck meint, Lesen hätte nichts mit Wellness zu tun. Ich meine, dass ich mehr mit Wellness und weniger mit dem Scheck’schen Selbstverständnis zu tun haben möchte …
Kann Vielfalt auch als Einfalt wahrgenommen werden? Der Gedanke liegt nah, wenn man die Clickbait-taugliche Rede von Denis Scheck nachliest, der für seine Verdienste in der Literaturkritik ausgezeichnet wurde. Scheck weiß, wie er Jubel und das Gegenteil orchestriert, und liefert mit seinem flammenden, nicht von Drachen ausgestoßenen Plädoyer viele Denkanstöße (kann man im Wortlaut HIER nachlesen) – was man an dieser Stelle nicht mit Zustimmung verwechseln muss.

Tolle Begegnungen und Gespräche, ein Fotoautomat zum Verlieben und der brillante Kommentar der Verlegerin vom Second-Chances-Verlag („Wenn du und ich jetzt immer, wenn wir uns hier über den Weg laufen, einen Satz miteinander wechseln, haben wir nach den zwei Tagen ein richtiges Gespräch zusammen!“): NEUE KAPITEL war auf jeden Fall ein Erlebnis und hatte bedeutend mehr zu bieten als das Popcorn auf der Abendparty, das effektvoll vor sich hinnebelte. Denn vor allem gilt, was Florian Valerius (weltbekannt bei Instagram als Literarischer Nerd), Anja Urbschat vom Local.Bookshop und viele andere sagten auf den Bühnen: „Einfach machen.“ Und dann sorgt die am Anfang erwähnte Begeisterungsrakete von Sarah Reul für einen energetischen Ausklang der Veranstaltung … und für NEUE KAPITEL


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