… das mich aber trotz zwischenzeitlicher Bewunderung enttäuscht zurücklässt

„Vielleicht ist es immer so, wenn man wieder in die Heimat zurückgeht. Einen Teil bringt man mit, und einen Teil lässt man hinter sich. Einen Teil hat man für immer abgestreift, als man Jahre davor aufgebrochen ist, und einen anderen zieht man wieder bereitwillig über, obwohl er unbequem geworden ist.“

Ein schlauer Mensch hat mir KRUMMES HOLZ damit schmackhaft gemacht, dass es ein beachtliches Debüt ist – und dem müsste nichts hinzugefügt werden: Julja Linhof schreibt stimmungsreich, tänzelt manchmal an der Grenze zum „Overwriting“ entlang, entfaltet ihr erzählerisches Talent aber jenseits des Empfindungskitschs. Noch dazu erzählt sie auf gerade einmal 270 Seiten so intensiv von einem Sommer, dass man dessen drückende Hitze beim Lesen selbst zu spüren meint, und hat ein sicheres Gespür für starke Momente. Warum werde ich also nicht warm mit diesem Roman, der bereits für viel Begeisterung gesorgt hat?

Seit Jirka gegen seinen Willen aufs Internat geschickt wurde, ist er nicht mehr in sein Elternhaus zurückgekehrt; nun aber hat der bald 20-jährige seinen Musterungsbescheid bekommen und findet sich so auf dem Hof des gefühlskalten Vaters wieder, von dem allerdings jede Spur fehlt. Stattdessen begegnet Jirka seiner Großmutter wieder, die immer tiefer in die Demenz abrutscht, seiner älteren Schwester Malene, die ihm fremd geworden ist, und Leander, dem Sohn des vor langer Zeit verstorbenen Verwalters. So weit, so raunend. (Und nachfolgend kann es hier nun Spoiler geben.)

KRUMMES HOLZ ist eine Titelformulierung, die hervorragend zu den gebrochenen Figuren des Romans passt, allerdings hätte sich auch CALL ME BY YOUR ALTE SORTEN angeboten – denn an diese beiden Romane habe ich mich als Leser von geringem Verstand erinnert gefühlt. Ähnlich wie in ALTE SORTEN können wir auch hier wunderbar in die Welt eines alten Bauernhofs eintauchen (ein Gebäude, das für mich fast zu einem eigenen Charakter wurde), lernen die Baumkronenschüchternheit und die Roggenmuhme kennen, leider aber nicht Georg, den brutalen Vater, der sich wirtschaftlich immer wieder falsch entscheidet, Katzenbabys im Waschbecken ertränkt und den Familienhund erschießt, als dieser ihm einen besonderen Liebesbeweis machen will; für mich wäre er vermutlich die spannendste Figur gewesen, doch er wird nie greifbar, dient letztendlich nur als Erklärungsansatz für die emotionale Zerzaustheit seiner Kinder.

Wirklich gestoßen habe ich mich an der schwulen Liebegeschichte, die Julja Linhof sicher ehrenhaft, aber meiner Meinung nach wenig überzeugend anlegt: Da haben wir den künstlerisch begabten und sensiblen Twink, dessen haarlose Androgynität im klaren Gegensatz steht zum langhaarig-wilden, muskulösen, nach einer Schlägerei sowohl im Gesicht als auch im Herzen gezeichneten Leander, den Jirka schon im Teenageralter begehrt hat und nun auf und in sich spüren möchte … wobei dem aber allerlei Seelenpein, spätpubertäre Orientierungslosigkeit und mutmaßlich noch schwuler Selbsthass im Weg stehen. Die stereotype Darstellung der beiden (Jung-)Männer irritiert umso mehr, weil sie im deutlichen Gegensatz steht zu den erzählerischen Mitteln, die Linhof auszeichnen; andererseits wurde auch André Acimans für seine Figurenkonstellation gefeiert, und immerhin wird in KRUMMES HOLZ kein Pfirsich geschändet.

Ähnlich unbefriedigend wie der Ausflug in die Gefilde der „queeren Romance“ ist dann am Ende auch die Auflösung der Frage, wo denn der Vater abgeblieben ist, und der weitere Umgang mit diesem Thema: Im Kontext der Figurenzeichnung ist dies mit ein bisschen gutem Willen nachvollziehbar, es ist sogar ein starker Moment, aber der ist meiner Meinung nach nicht befriedigend zuende gedacht.

Ich hätte mich sehr gerne so in KRUMMES HOLZ verliebt wie viele andere – aber mir bleibt nach einem zugegebenermaßen kurzweiligen Leseerlebnis die Hoffnung auf das nächste Buch der Autorin.

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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Julia Linhof: KRUMMES HOLZ. Klett-Cotta Verlag, 2024