Kaliane Bradley verwebt vergnügt verschiedene Genres. Kann das gut gehen?

„Ich hatte wenig Erfahrung mit Charme – dieses schillernde, altmodische Ding, das Exzentriker befällt –, und meine schroffe Abwehr gegen verwandte Formen (Flirten, Höflichkeit, Unterwürfigkeit) funktionieren nicht, weil Gores Charme nicht zweckgebunden war. Genauso gut hätte ich versuchen können, Nebel mit einem Einmachglas zu fangen. […] Er war witzig, das war das Problem. Witzige Männer sind schlecht für die Gesundheit.“

Sie hat bisher in der Sprachenabteilung des Verteidigungsministeriums gearbeitet – und bekommt nun einen neuen Job: Zwar nicht wie gehofft beim Geheimdienst, aber beim sehr geheimen Ministerium der Zeit. Und so steht unsere namenlose weibliche Hauptfigur plötzlich ihm gegenüber: Graham Gore, einem Commander der Royal Navy, geboren ca. 1809 und gestorben ca. 1847 während einer Forschungsreise ins Polareis … so steht es in den Geschichtsbüchern. Tatsächlich ist er aber mitsamt seiner very sexy Nase durch eine Zeitmaschine in die Gegenwart geholt worden. Nach allerlei Tests soll er nun mit einer Handvoll anderer „Expats“ in die Gesellschaft integriert werden.

Dazu ziehen die Zeitreisenden jeweils mit einer „Brücke“ zusammen, also einem Menschen, der ihnen die moderne Welt näherbringen soll. Ob es Zufall ist, dass man Graham eine Frau zugeteilt hat, noch dazu eine, deren latente „Exotik“ durch ihre kambodschanische Mutter ihm sofort auffällt?

DAS MINISTERIUM DER ZEIT ist ein besonderes Buch – und eins, von dem ich mich freue, dass es der Spitzentitel eines großen Verlags wurde: Es gehört Mut dazu in Zeiten, in denen vor allem das Eindeutige und leicht zu Vermittelnde gewinnversprechend scheint, auf einen Roman zu setzen, der sich nicht um Genregrenzen schert. Die britisch-kambodschanische Autorin Kaliane Bradley verwebt Zeitreise, Romance und Action mit einer schwelgerisch fließenden Sprache zu einem Lesevergnügen, von dem man sich gerne betören und mitreißen lässt, auch dank der ebenso fließenden Übersetzung von Sophie Zeitz.

Eigentlich könnte ich meine Rezension so enden lassen: DAS MINISTERIUM DER ZEIT ist ein tolles Buch, gefühlvoll und spannend, das Menschen, die sonst weniger Berührungspunkte mit Genrethemen haben, sehr gut unterhalten wird.

DIE ZWEI SEITEN VON „DAS MINISTERIUM DER ZEIT“

Das Problem ist leider, dass Zeitreisen für mich durch Romane, Filme und Serien nichts Ungewöhnliches sind … und ich deswegen in der zweiten Hälfte des Buchs eher under- als overwhelmed war. Wer mehr dazu wissen möchte, muss ab hier mit SPOILERN rechnen.

Bradley legt die Handlung sehr geschickt in die nahe Zukunft (oder eine Parallelrealität?), in der England unter den Folgen des Klimawandels leidet, unter Dürren, Überschwemmungen und Stürmen mit verheerender Wirkung; durch diese leichte Verschiebung ist man geneigt zu glauben, dass es den Wissenschaftlern gelungen sein kann, eine Zeitmaschine zu bauen. Die Autorin lässt ihre Hauptfigur – und uns Lesende – im Dunkeln darüber, was genau das Ziel hinter dieser Mission ist: Geht es darum, die Grenzen der Wissenschaft zu erweitern, will man Super-Geheimagenten generieren, die sich modernen Überwachungssystemen entziehen können, oder ist – allen Beteuerungen zum Trotz – doch das Ziel, in die Vergangenheit einzugreifen, um eine unschöne Zukunft (siehe Klimakatastrophe) zu verhindern? Das sorgt für Spannung, nicht nur für die Figuren im Buch.

„Das war eine meiner ersten Lektionen, wie man die Zukunft schreibt“, steht am Ende eines Abschnitts: „Mit jedem Moment schließt du eine Tür der Möglichkeit hinter dir.“ Das ist zum einen schlau, zum anderen vermutlich auch die Herangehensweise der Autorin.

Mein Eindruck ist, dass das gesamte World Building eher wacklig bleibt und zu sehr der Handlung unterworfen ist als umgekehrt – so beschränken sich die Anpassungsschwierigkeiten der „Expats“ auf Dinge, die im Kontext des Romans für Schmunzler sorgen, wenn z.B. Graham Gore Soap Operas im TV ablehnt und er irritiert ist von der „freizügigen“ Kleidung der Hauptfigur, während er aber erstaunlicherweise wenig Problem mit dem modernen Englisch hat und nach kurzer Zeit ein versierter Motorradfahrer wird.

Das mag alles genau richtig sein so … wirkt auf mich Leser von geringem Verstand aber ebenso nachlässig konstruiert wie die Verwicklungen mit den Gegenspielern aus der – ACHTUNG, SPOILER! – Zukunft. Ich bin (da ich nur die aktuelle Staffel gesehen habe) kein Experte, was die britische TV-Serie DOCTOR WHO angeht, aber mein Eindruck ist, dass Kaliane Bradley sich eher von bunten TV-Welten rund um die Tardis hat inspirieren lassen als von einer konkreteren Auseinandersetzung mit dem Thema, über das sie schreibt.

BITTE KEINE VÖGEL HAUEN!

Aber braucht es das? Vermutlich nicht; ich musste in dem Zusammenhang immer wieder an den Film KATE UND LEOPOLD denken mit Hugh Jackman und Meg Ryan.

DAS MINISTERIUM DER ZEIT ist kein Buch für SF-Fans, sondern soll – und wird – Mainstream-Lesende begeistern, die sich vom stilistisch wunderbaren, britisch-eleganten Erzählton dazu verführen lassen, eine Geschichte zu entdecken, zu der sie sonst nicht greifen würden. Und diese Lesenden werden vermutlich auch nicht darüber stolpern, wenn der Romantik-Teil in der Mitte des Buchs so richtig zum Tragen kommt (nach einer der wenigen stilistischen Entgleisungen: „Er beugte sich vor und kniff mir mit Mittel- und Zeigefinger in die Brustwarze. Ich machte ein Geräusch wie ein geohrfeigter Kanarienvogel.“) und die Geschichte danach zum Action-Reißer mutiert, an deren Ende eine überraschende Wendung steht, die ich nicht habe kommen sehen … was auch daran liegen mag, dass damit vergnügt Dinge über den Haufen geworfen werden, die in Genrestoffen als No-Go gelten.

Und so lässt mich DAS MINISTERIUM DER ZEIT zwiegespalten zurück: Ich bin begeistert von der ersten Hälfte … und wurde von der zweiten ein wenig enttäuscht. Was am Ende bleibt? Mein Applaus für Momente, die ich als besonders stark empfinde – wenn beispielsweise die Mutter der Erzählerin darüber nachdenkt, wie ihre Schwester zu Tode kam, oder wenn das Füttern einer Spinne zum Lehrstück wird für die menschliche Tendenz, mit Aggressoren umzugehen. Und so ende ich hier mit lächelnder Ambivalenz … und einem Zitat, an das ich immer noch gerne zurückdenke:

„Meine jüngere Schwester war eine viel geschicktere Täuscherin. Ihr Umgang mit Sprache was so ausweichend und streitlustig, wie meine gewissenhaft war. Darum wurde ich Dolmetscherin, und sie wurde Schriftstellerin – sie versuchte jedenfalls, Schriftstellerin zu werden, und wurde Lektorin. Weil ich wesentlich besser verdiente und sich meine Eltern unter meinem Beruf etwas vorstellen konnten, würde ich sagen, das Karma war auf meiner Seite. Meine Schwester würde sagen: ‚Fick dich.‘ Aber ich weiß, dass sie es nett meint. Wahrscheinlich.“

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Ich habe dieses Buch nicht selbst gekauft, sondern von einer Freundin, die beim Verlag arbeitet, geschenkt bekommen. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.

Kaliane Bradley: DAS MINISTERIUM DER ZEIT. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Penguin Verlag, 2025