Leider wenig Begeisterung für den Roman, dessen Titel das Ende vorwegnimmt
„Ich weiß nicht, was los ist, ich weiß nicht, warum ich in dieser Jury sitze, ich weiß nicht, warum ich heute eine Rede halte, ich weiß nicht, warum Mandern nach mir gefragt hat, aber all das ist einfach schön, Freddy. Es ist schön, gewollt zu werden. Mal ehrlich, wer interessiert sich schon für einen schwulen weiße Romanautor mittleren Alters, von dem noch nie jemand gehört hat?“
Als Leser von geringem Verstand möchte ich Bücher manchmal mögen – und muss mich am Ende doch geschlagen geben. So auch bei HAPPY END von Pulitzerpreisträger Andrew Sean Greer, der Fortsetzung seines mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Romans MISTER WENIGER, den ich mochte – auch wenn ich damals schon den Eindruck hatte, dass der Autor den Preis (übrigens: es war der Pulitzer!) möglicherweise verliehen bekam, weil keine andere Diversity-geeignete Person verfügbar war.
Im Mittelpunkt steht erneut Arthur Weniger, ein unbekannter Autor, der nach dem Tod seines ehemaligen Partners vor einem Problem steht: Die Erben fordern von ihm rückwirkend die Miete für das kleine, aber in allerbester Lage liegende Häuschen, in dem er seit der Trennung vermeintlich kostenfrei lebt – ein Vermögen, das sich aber durch den Sitz in einer Literaturpreisjury sowie ein Porträt über den schillernden Schriftsteller H.H.H. Mandern, das Honorar für die Bühnenfassung einer seiner Kurzgeschichten und schließlich einer Lesetour aufbringen lassen könnte. Und so bricht Weniger auf, um Geld zu verdienen (und der Begegnung mit seinem verlorengegangenen Vater entgegenzufiebern); zwischen den Fettnäpfchen, in die er dabei beständig tritt, findet er sich in Begleitung eines kapriziösen Hundes in einem Wohnmobil wieder, mit Schnurr(und nicht Schnauz)bart und T-Shirt als Heterosexueller getarnt, um der Bedrohung durch amerikanische Rechte zu entgehen.
Erzählt wird das alles mit einem ironischen Augenzwinkern, das so dezent eingesetzt wird wie mit einem Vorschlaghammer, aus dem Off von Freddy Pelu, Wenigers Liebhaber und potentiellem Lebensglück, der ebendieses in Frage stellt und sich auf eine eigene Reise macht, die ihn in die „Pension der letzten lebenden Walfängerwitwe“ führt. Kann es für die beiden ein glückliches Ende geben? Nun, im Verlag wollte man die Lesenden nicht zu sehr auf die Folter spannen und gab dem Buch – im Original: LESS IS LOST – den Titel HAPPY END in pink unterlegter Schrift auf rosig überhauchten Wolkenhimmel; ein Schelm, wer vermutet, dass auch der pinke Einband fröhlich „Queer!“ quietschen soll.
Wie schon sein Vorgänger ist HAPPY END eine Episodenrevue, von der einige vergnüglich sind, andere ratlos zurücklassen und die allermeisten Wendungen einen Überraschungsgehalt haben, der gegen Null tendiert. In den besten – und dann in der Miniatur auch tatsächlich auserzählten – Momenten gelingt Greer „echte, berührende Komik“, die ihm die Literaturlichtgestalt Daniel Schreiber im Umschlagrückseitenzitat zuschmeichelt – während auf der Vorderseite Shooting Star Bonnie Garmus von der „einfühlsamen Unbeholfenheit“ der Hauptfigur spricht, die „so tragisch wie komisch“ sei. Auch dies ist zutreffend, meiner Meinung nach aber nur die halbe Wahrheit: In seinem Bemühen, Wenigers Lebensuntauglichkeit, seinen Manierismus, sein Aus-der-Zeit-Gefallensein auszuleuchten, gibt Greer ihn immer wieder der Lächerlichkeit preis und versteigt sich dabei auch zu Aussagen, die das Herz am richtigen Fleck haben, aber zur Zuckerwattigkeit neigen – natürlich ist der Gedanke hübsch, dass einem „Redneck“ an einem verlotterten Tresen Wenigers Sexualität egal ist, aber so versöhnlich ist der Umgang der amerikanischen Rechten mit dem Thema LGBTQIA+ vermutlich eher weniger.
Vermutlich ist es eine Herausforderung, den besonderen Erzählton von Greers nostalgischem Roadtripmärchen ins Deutsche zu übertragen (den man charmant finden, aber auch als heillos verschwafelt einordnen kann); man hätte der Übersetzung von Charlotte Milsch eine aufmerksamere Redaktion gewünscht, wenn es in Atlanta beispielsweise Ein-Euro-Läden gibt (und einen Satz später einen nicht eingedeutschten „Kissing Booth“) sowie „einen wortwörtlichen Schrank für alle, die sich ‚outen‘ wollen“.
Wer meine Rezensionen verfolgt, der wird wissen, dass ich vor allen Verlagen den Kopf neige, die lesbisch-schwule-bisexuelle-trans-queer-plus Bücher ins Programm nehmen und in diesem Fall sogar an eine exponierte Stelle: Respekt, Anerkennung, Konfetti (zur Not auch in rosarot) und ein Dankeschön dafür. Trotzdem habe ich diesen Roman nach dem – surprise, surprise – HAPPY END enttäuscht zugeklappt.
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Ich habe dieses Buch von einer Freundin geschenkt bekommen, die beim Verlag arbeitet; es handelt sich bei dieser Rezension trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Andrew Sean Greer: HAPPY END. Aus dem Englischen von Charlotte Milsch. S. Fischer Verlag, 2023
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