Empfohlen im Podcast „Zwei Seiten“ und definitiv die Aufmerksamkeit wert
„Ich vermisste unsere alte Wohnung auf einmal mit einer Intensität, mit der ich bisher nur Exfreundinnen vermisst habe. Der alte Vermieter hatte unserer abgeschabten Bude eine Fußbodenheizung und eine Regenwalddusche verpasst und dann die Miete gleich verdoppelt. Diese Zweizimmerwohnung, vier Haltestellen hinter dem S-Bahn-Ring, war das Beste, was wir innerhalb der Kündigungsfrist finden konnten. Freier Illustrator und NGO-Mitarbeiterin in Teilzeit – wir waren nicht gerade Traumkandidaten auf dem Wohnungsmarkt.“
Zu den wenigen Talenten, die ich habe, gehört es, einige wunderbare Menschen in mein Leben charmiert zu haben – und die ich nicht trotz, sondern wegen ihrer Spezial Effekte im Herzen trage. Daran musste ich immer wieder denken, während ich DER HAUSMANN las, denn die Figuren, die hier in einer Mietskaserne aufeinanderprallen, sind (im Gegensatz zu meinem Inner Circle) eigentlich allesamt ein bisschen unsympathisch – und trotzdem habe ich Wlada Kolosowas Roman mit Vergnügen gelesen.
Da haben wir Tim, den Teilzeit-Hausmann und Vollzeit-Schluffi, der alles ordentlich und sauber haben möchte, die Arbeit an seiner Graphic Novel aber am Nachmittag gerne für einen kleinen Porno unterbricht; Thea, seine Freundin, die sich unter dem Druck der erfolgsorientierten Eltern gerade zum ersten Mal für einen richtigen Job entschieden hat und in der Agentur, in die ihrer BFF Anna sie lotst, ihr blaues Kapitalismuswunder erlebt; Maxim, der Ukraine-Flüchtling, der alles daran setzt, mit Tims Hilfe sein Deutsch zu verbessern und den Postboten vom Haus fern zu halten; und schließlich Dagmar Birkenberg, eine rüstige Rentnerin, die gerade begonnen hat, einen Blog zu schreiben über Spartipps der besonderen Art.
Der große USP dieser immer wieder überraschenden Großstadtballade ist natürlich die Erzählweise – denn lediglich Tims Perspektive wird klassisch in der Ersten Person erzählt. Frau Birkmann lernen wir dagegen durch ihre Blogbeiträge kennen, die beständig zwischen pfiffig, skrupellos und bewegend hin- und herflippern, Maxim schreibt alles, was wir über ihn erfahren sollen, in seinem „Heft für lernen Deutsch“ nieder, während wir den Kurznachrichten-Thread von Thea und Anna mitlesen dürfen. Und dann gibt’s als Bonus auch noch Ausschnitte aus dem Comic, an dem Tim arbeitet (und der, wie das Covermotiv, von Raùl Soria stammt), in dem sich das Inuit-Mädchen Altana auf den Weg zu ihrer Großmutter machen muss, die … ach, es wäre zu schade, würde ich das an dieser Stelle verraten.
DER HAUSMANN hat mir aber nicht nur wegen der Form Freude bereitet, sondern auch wegen seines Ensembles – wobei es zunächst nicht so wirkt, als würde die Autorin hier mit erkennbarer Feinziselierung ans Werk gehen, sondern ihre Figuren vor allem mit breitem Farbstrich malen. Doch sie alle bekommen ihre Knickpunkte, was vielleicht manchmal hart am Klischee entlangschrappt, uns Lesende aber letztendlich doch befriedigt zurücklässt. Interessant ist auch, wie sie Tim, der lange Zeit die sympathischste Person zu sein scheint, mit einer (möglicherweise etwas überplotteten) Rechenaufgabe in eine andere (und schließlich mit einer ebenso überplotteten weiteren Wendung in die finale) Richtung schuppst; ein bisschen habe ich mich an A LONG WAY DOWN von Nick Hornby erinnert gefühlt.
Viele unterhaltsame Gegenwarts- und Befindlichkeitsromane sind ein Vergnügen, während man sie liest, und dann schnell vergessen – DER HAUSMANN hat in meinen Gedanken noch ein wenig nachgearbeitet, und es gibt neben der schönen Idee des „liege mich“ (ja, da steht ein g, kein b) und vielen anderen kleinen Highlights eine Textstelle, die vielleicht zu den schönsten gehört, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, wenn Maxim nach dem ersehnten Sex mit einer schönen Studentin folgendes in sein Heft schreibt: „Ich will ihr sehr viele bedeutsame Dinge sagen, aber ich kenne keine Worte, die exquisit genug dafür sind. Also spreche ich die Stille des Glücks. Charlotte ist auch still. Aber nach einer Zeit verstehe ich, dass wir unterschiedliche Stille sprechen.“
Ist DER HAUSMANN ein ganz großer Wurf? Vielleicht nicht. Aber wer auf der Suche nach einem wirklich guten – und auf seine Art sehr besonderen – Zwischendurch-Buch ist, liegt hier goldrichtig.
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Wlada Kolosowa: DER HAUSMANN. Leykam Verlag, 2022
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