Von vielen bejubelt, aber mich hat’s nicht erreicht
„Jedenfalls hatten wir in und mit Bad Oeynhausen richtig viel Spaß, ich fürchte, mehr als die mit uns.“
Natürlich ist es präpotent, einen Satz rauszuhauen wie „Ich kann KünstlerInnen alles verzeihen“: Welche Bedeutung sollte es haben, ob ich Leser von geringem Verstand verzeihe oder nicht oder ob in Wuppertal ein Schmetterling furzt? Tatsächlich mag ich es sogar, wenn Werke widerborstig sind – und die Urhebenden noch dazu. Deswegen könnte ich zwar einen Schreianfall bekommen, wenn eine Frau, die ich immer wegen ihrer Struppigkeit mochte, ihrem „So nicht, die Herren!“, mit dem sie früher Althergebrachtem zu begegnen schien, nun von Zeiten spricht, „in denen Worte schon wieder Parolen sind und Interpretationshoheiten wie in der uns unnatürlich aufgezwungenen Gendersprache um sich greifen“ … aber ein sich plötzlich öffnendes Schwarzes Loch in meinem Wertekosmos bedeutet immer auch Auseinandersetzung und Erkenntnisgewinn.
Woran ich allerdings zu knabbern habe ist, wenn das Werk einer geschätzten KünstlerIn mich langweilt – und das tut IHR GLÜCKLICHEN AUGEN. Die 42 „kurzen Geschichten zu weiten Reisen“ könnten uns auf 250 Seiten nach Paris und Bologna führen, nach Seoul, Lissabon, Havanna … laden aber tatsächlich vor allem ein, Platz zu nehmen in der ersten Reihe eines Anekdotenabends, mit dem Elke Heidenreich in einem hübschen Theater Hof hält. In den besten Momenten überwindet sie dabei begeisterungswürdig den Abstand zwischen Bühne und Publikum, in den meisten aber unterhält sie nur, weil SIE etwas erzählt und nicht dadurch, WAS sie zu Papier gebracht hat.
Das ist umso enttäuschender, weil Elke Heidenreich zum Beispiel in den von mir so geliebten Bänden ALLES KEIN ZUFALL und MÄNNER IN KAMELHAARMÄNTELN ihre Meisterschaft so treffsicher unter Beweis gestellt hat (und man nicht immer so ganz konkret sagen konnte, wo die Grenze verlief zwischen dem Erzählenden und dem Offenbarenden, dem Kokettieren mit Fakten oder der Fiktion, die auf Erfahrung fußt). Natürlich würde man gerne mit ihr in einem New Yorker Hotel versacken, natürlich findet man viele ihrer Gedanken wie den über die Gemeinsamkeit von Liebeskummer und Mord hinreißend, und natürlich möchte man vor Inge Feltrinelli auf die Knie fallen. Ist das möglicherweise schon genug, bin ich einfach zu gierig und (von ihr bisher) zu verwöhnt?
IHR GLÜCKLICHEN AUGEN ist ein Fanbuch und -service, nicht weniger, aber leider auch nicht mehr. Schade.
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Elke Heidenreich: IHR GLÜCKLICHEN AUGEN. Carl Hanser Verlag, 2022
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