Fikri Anıl Altıntaş widmet seinen zweiten Roman ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST seiner Mutter, deren Geschichte er in Vergangenheit und Gegenwart nachspürt.

„Ich kämpfe wieder mit den Tränen und du mit dem unerschütterlichen Grundsatz der Zuversicht, den du uns über all die Jahre vorgelebt hast. Deine Stärke durchdrang das Haus; in Dunkelheit warst du die, ohne die wir nicht schlafen konnten. Wir akzeptierten deine Schlaflosigkeit ohne Schuld.“

Auf wenige Bücher war ich in diesem Jahr so gespannt wie auf den Roman von Fikri Anıl Altıntaş: Ein schlauer Autor, der sich in seinem Werk mit Antifeminismus und Männlichkeitsbildern beschäftigt, schreibt über seine Mutter im Gestern und im Heute, zwischen den Hoffnungen einer jungen Frau, deren Leben vor einem drastischen Einschnitt steht, und ihrem Sterben in einem anderen Land, mit einer Familie, für die sie alles gegeben hat. What’s not to love?

Die Konstruktion von ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST ist gelungen, Fikri Anıl Altıntaş erzählt im fließenden Wechsel auf drei Zeitebenen. In der Gegenwart sind wir dabei, wie der Erzähler seiner Mutter bei den Vorbereitungen für das Abendessen hilft, mit dem die Familie ihren letzten Geburtstag feiern will, und erfahren außerdem, was in den Monaten davor geschah; unter anderem ist die Mutter ein letztes Mal in ihre alte Heimat gereist:

„Dein anstehender Tod ist kein Schicksal, auch sein zu früher Zeitpunkt nicht, es ist die Verkettung von Momenten, in denen ich mit verbundenen Augen stand. Ihr habt Tickets gebucht, ich hatte Termine. Wäre es Brasilien gewesen, wie du dir es gewünscht hast, ich wäre mitgekommen. Meinetwegen, nicht deinetwegen, denn mein Grund mitzufahren wäre Brasilien gewesen.“, ordnet der Erzähler seine Rolle selbstkritisch ein. „Meinem Vater drücke ich gönnerhaft 1000 € in Zwanziger- und Fünfziger-Scheinen in seine zitternden Hände. Wenn sie mehr brauchen, sagte ich und klopfte ihm dabei auf seine linke Schulter, wüssten sie, wo sie mich finden. Mein Vater fing an zu weinen […]. Am nächsten Tag seid ihr in die Türkei geflogen.“

Wie geht man damit um, wenn man Zeit hat, Abschied zu nehmen?

Wir erfahren, dass die Familie hofft, dass jetzt, da die moderne Medizin wirkungslos scheint, Hausrezepte helfen; vielleicht ist gegen Krebs ein Kraut gewachsen. Oder gäbe es etwas anderes, was für die Mutter wichtiger sein könnte? „Es wäre schön, wenn ich auch dabei gewesen wäre [sagen sie mir], hier bläst die Meeresluft heftig gegen die Palmen. Ich hätte meine asthmatischen Beschwerden lindern können. Ihr versucht, mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Das habe ich aber bereits. Ich frage routiniert, ob das Geld reicht. Ihr sagt, fürs Erste tut es das.“

Das Trauerspiel in der Gegenwart kontrastiert Fikri Anıl Altıntaş mit seiner dritten Erzählebene, den Erinnerungen an das Leben seiner Mutter in der Türkei der frühen 1970er, als sie noch Mürüvvet heißen durfte, statt nur „Mama“ zu sein. Wir erleben eine junge Frau, die in die Schule und auf Konzerte geht, die auf die politische Situation in ihrer Heimat reagiert – und entsetzt ist, weil ihr Vater sie nach Deutschland holen will, obwohl bekannt ist, wie schlecht türkische Menschen dort behandelt werden: „Siegen hat nicht einmal ein Meer, kein einziges Hochhaus. Kannst du dir das vorstellen?“

Die Kapitel, die in der Vergangenheit spielen, haben einen auf mich artifiziell wirkenden Erzählstil – als würde ich Schauspielenden auf einer Bühne zusehen, die deklamieren. „Mürüvvet hatte dabei den Klang einer Tante aus den Yelşilçam-Filmen“, schreibt der Autor, als würde der das Fragezeichen über meinem Kopf erahnen: „Obwohl sie normalerweise nicht zur Dramatik neigte, sprach sie in diese ungewöhnliche Zeit hinein.“ Mich hat das leider nicht erreicht, ich habe diese Kapitel als anstrengend empfunden, was mir leider die Offenheit genommen hat, mich darauf einzulassen, wie der Autor die Leerstellen füllt, die er über das Leben der Mutter hat.

Die Frage muss gestellt werden: Bin ich einfach zu doof für dieses Buch?

Gleichzeitig regt sich meine alte Freundin, Miss Imposter: Ist dieser Erzählstil die Übertragung des Türkischen, bin ich zu ungebildet (womit man umgehen könnte) oder unsensibel (autsch!), den Klang einer anderen Sprache zu verstehen und zu goutieren; schließlich weiß ich es doch zu schätzen, dass französische oder spanische Texte im Deutschen ihren eigenen Sound haben.

Die Rassismuserfahrung, die oft den Kern der Literatur bildet, die man als „postmigrantisch“ bezeichnet, streift der Autor nur am Rand („In gebrochenem Türkisch erzähle ich alles, was ich über Rassismus in Deutschland weiß. Strukturelle Gewalt. Lehrer, die mir nicht zutrauen, einen Aufsatz zu schreiben. Die Verwunderung über mich selbst, wenn ich es doch schaffe. Ich bin Türke, ich kenne es nicht anders, trage ich in großen Worten vor. Mein Vater nickt leise mit.“);

ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST ist eine Abrechnung des Autors mit sich selbst, mit dem eigenen Verhalten der Mutter gegenüber, aus der Position des inzwischen erwachsenen Kindes heraus („Ich hänge dem Glauben nach, dass du immer nur Mama sein wolltest.“), das jede Dienstleistung für selbstverständlich hält („Ich lasse das Unterhemd auf dem Stuhl liegen, das du für mich gewaschen hast.“), was auch dadurch bedingt wird, dass der Erzähler patriarchal geprägt ist („Ich suche das Recht in Babas Mund und nicht in deinem.“). Alles, was ich darüber auf den 268 Seiten lese, ich wichtig; ich stolpere trotzdem darüber, dass es mich Leser von geringem Verstand auf der intellektuellen Ebene erreicht, aber nicht auf der emotionalen.

In einem Interview, dass Fikri Anıl Altıntaş seinem Verlag gegeben hat, sagt er unter anderem: „Es geht darum, den Mut aufzubringen, die Sprachlosigkeit, die zwischen Männern herrscht, zu durchbrechen und Verletzlichkeit zuzulassen.“ Wieder ist das eine Aussage, bei der ich JA, JA, JA denke. Und ich habe natürlich Verständnis dafür, dass der Autor seinem Erzähler angesichts des drohenden Verlustes seiner Mutter ein beständiges „Ich, ich, ich“ in den Mund legt, das in meinen Ohren aber leider oft wie „mi-mi-mi“ klingt:

„Du teilst deinen Schmerz nicht, du sprichst nicht aus, wie sehr du mich liebst“, schreibt Fikri Anıl Altıntaş in einer Mischung aus Trauer, sicher auch Bewunderung – oder ein wenig Trotz? „Du bist dir meiner Schuld nicht bewusst, du lässt los, obwohl wir alle versuchen, dich davon abzuhalten. Du bist schon immer deinen Richtlinien gefolgt. | Vielleicht gehst du bald in die Türkei, ein letztes Mal nimmst du die Sonne in dich auf. Und findest Gelegenheit, diese Liste zu lesen.“

ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST von Fikri Anıl Altıntaş ist ein Buch, das zu lesen lohnt – ganz egal, ob man es am Ende mag oder nicht.

Es fällt schwer, das Buch eines Menschen einzuordnen, der sich darin einem Verlust nähert, und wichtig ist mir zu betonen, dass diese Zeilen nicht wertend gemeint sind. Aber wenn ich mir eins gewünscht habe, während ich ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST las, war das die Geschichte, die Fikri Anıl Altıntaş nicht erzählt: Die der jungen Frau, die nach Deutschland kommt, sich zurechtfinden muss und ein Leben aufbaut, für das sie nun im Rückblick wenig positive Worte findet:

„Habt ihr in all den Jahren je gefragt, was ich brauche? Was ich fühle? […] Ich hätte viel früher auf meine Bedürfnisse hören müssen. Widerworte geben, wo sie notwendig sind“, wirft sie ihrer Familie entgegen, nicht nur dem Mann, der so oft Teller zerbrach, weil ihm das Haus zu dreckig war oder das Essen nicht schmeckte: „Ich hatte immer einen klaren Blick in den Himmel, doch mit der Zeit zogen Wolken vor meine Augen. Mein Leben wurde zur Aussichtsplattform für andere.“

Was bleibt für mich von ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST? Vielleicht die Scham, dass ich mich der Geschichte von Fikri Anıl Altıntaş nicht so öffnen konnte, wie Buch und Autor es verdienen. Aber auch diese Zeilen, die mich nachklingend rühren und die ich deswegen ans Ende dieser Gedankensammlung setzen möchte:

„In deiner Jugend hast du zu den Liedern getanzt, in Aydın, mit deinen besten Freundinnen. Ich kenne das Bild, du bist die Schönste auf diesem kleinen Stück schwarz-weißem Papier, das Baba in seinem Geldbeutel mit sich trägt. Du hast volles, lockiges Haar und trägst einen schwarzen Einteiler, schwarze Mokassins und ein weißes Tuch um deinen Hals. Dein Lächeln legt sich wie die Sonne auf die grauen Häuser in der Nachbarschaft. Ich glaube, sowohl Baba als auch ich sehnen uns in diesem Moment nach deiner Jugend, weil du noch so viel vor dir hast.“

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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Fikri Anıl Altıntaş: ZWISCHEN UNS LIEGT AUGUST. C.H. Beck, 2025.