Sarah Lorenz hat einen bewegenden Roman über das Zerbrechen und Kitten einer Seele geschrieben – und beantwortet hier nun drei Fragen zu MIT DIR, DA MÖCHTE ICH IM HIMMEL KAFFEE TRINKEN.

Der Titel des Romans hat etwas Verträumtes, der Inhalt ist es weniger: MIT DIR, DA MÖCHTE ICH IM HIMMEL KAFFEE TRINKEN von Sarah Lorenz erzählt die Leidensgeschichte einer Frau, die auch (aber nicht nur) an der Kaltherzigkeit ihrer Mutter zerbricht und deren jahrelange Odyssee am Ende doch als Heldinnenreise verstanden werden kann.

Trotzdem passt der Titel perfekt zum Buch, zum einen als Anrufung an die Dichterin Mascha Kaléko (1907–1975), deren Texte der Protagonistin Elisa Halt geben, weil sie ihren Schmerz und ihre Hoffnung darin gespiegelt sieht; zum anderen, weil Sarah Lorenz diese Geschichte mit einer ganz eigenen Sprachmelodie erzählt: „Die perfekte Mischung aus Poesie und Punk“, nennt dies Margarete Stokowski treffsicherer, als ich es hätte auf den Punkt bringen können.

Nach 216 Seiten kann man das Buch bewegt zuklappen – aber ein paar Fragen habe ich dann doch noch. Und freue mich sehr, dass Sarah Lorenz sich die Zeit nimmt, sie zu beantworten.

Liebe Sarah, wer Dir auf Instagram folgt und dann MIT DIR, DA MÖCHTE ICH IM HIMMEL KAFFEE TRINKEN liest, dem wird vieles sehr bekannt vorkommen – und Du sagst selbst, dass der Roman autofiktionale Züge hat. Wie schwer ist es Dir gefallen, unschöne Erfahrungen aus Deinem eigenen Leben in eine fiktionale Form zu bringen?

Sarah Lorenz: „Spätestens, als meine Lektorin Linda Vogt meinte, die Protagonistin brauche einen Namen, war es hauptsächlich Elisas Geschichte und nur noch teilweise meine. Auch wenn mir die Schwere mancher Ereignisse erst durch das Schreiben und das Abstrahieren von mir selbst klar wurde, ermöglichte mir Elisas Existenz einen angemessenen Abstand.

Die größere Herausforderung war es, Elisas Grunderschütterung, ausgelöst durch den Entzug der Mutterliebe und den Einzug ins große kalte Haus, wirklich transportieren zu können und zu vermitteln, was das mit einem Menschen macht. Elisas Trauma liegt ja nicht in einer körperlichen, sondern seelischen Misshandlung begründet. Eine reine Beschreibung hätte nicht ausgereicht, verständlich zu machen, welche Auswirkung die Verwandlung der vormals so warmen Mutter in eine nicht mehr liebende Mutter auf Elisa hatte.“

Wer Deinen Roman liest, muss sich auf heftige Gefühle einstellen, auf Traurigkeit, Verzweiflung – und auf jede Menge Wut, die man selbst empfindet beim Gedanken an die Menschen, die Deiner Figur Elisa übel mitspielen. Dann ist die letzte Seite gelesen … und die Wut ist immer noch da bei uns Lesenden. Was tun?

Sarah Lorenz: „Das ist spannend, weil ich meist die Rückmeldung bekomme, das letzte Kapitel hätte versöhnt. Klingt komisch, als müsse ich den Lesenden eine Versöhnung für die Zumutungen in Elisas Leben anbieten … Es war schon mein Ziel, dass Lesende das Buch schließen und denken ‚Uff, was für eine Scheiße. Aber sie hat schon recht, diese Elisa, Hoffnung lohnt sich immer, das hat sie uns gezeigt.‘

Ich könnte mir vorstellen, dass besonders die Wut auf die Männer im Buch bestehen bleibt. Schließlich hat Elisa Übergriffe überlebt, von denen sie Mascha auf ihrer Reise erzählt. Auch auf den Vater, der seiner Verantwortung nicht gerecht wurde, kann man wütend werden. Aber da denke ich mir: Wut ist ein Katalysator, also nutzt sie, denn es gibt etliche übergriffige cis Männer, etliche Väter, die ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, und etliche Elisas, die Hilfe brauchen.“

Du stellst den Kapiteln Gedichte von Mascha Kaléko voran – aber eins fehlt, mit dem ich gerechnet hätte: SOZUSAGEN GRUNDLOS VERGNÜGT. Hat es Dich nicht gereizt, zum Ende des Romans hin noch einmal eine leichtere Tonart anzuschlagen, um Deine Erzählerin Elisa in den Arm zu nehmen?

Sarah Lorenz: „Das habe ich! Sogar ein Rezept hat sie bekommen! Ich meine: ‚Zerreiß deine Pläne. Sei klug und halte dich an Wunder.‘ Allein diese zwei Zeilen sind doch eine Umarmung (ich überlege, sie mir zu tätowieren).

‚Sozusagen grundlos vergnügt‘ mag ich schon auch, aber tatsächlich hauptsächlich den Titel und natürlich die letzte Zeile: ‚Ich freu mich, dass ich … dass ich mich freu.‘ Trotzdem berührt mich dieses Gedicht nicht annähernd so sehr wie ‚Rezept‘.

Die leichtere Tonart ist im Prolog zu finden, was auch wichtig ist, damit die Lesenden bei allem Schweren, was sie auf den nächsten 200 Seiten lesen werden, immer wieder daran zurückdenken können und wissen, es wird alles gut. Zumindest viel, viel besser, als man es nach dem Lesen dieser 200 Seiten erwarten würde. Und Elisa braucht gar keine Umarmung von mir, die nimmt sich mit dem Brief im letzten Kapitel selbst in den Arm.“

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Ich habe den Roman von Sarah Lorenz nicht selbst gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meinem Interview handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung; ich habe es geführt, weil ich neugierig bin.

Sarah Lorenz: MIT DIR, DA MÖCHTE ICH IM HIMMEL KAFFEE TRINKEN. Rowohlt, 2025.