Nach ihren ersten Mega-Bestsellern betritt Caroline Wahl Neuland, möglicherweise nicht nur durch den Verlagswechsel, und legt mit DIE ASSISTENTIN einen Roman vor, den man mit großem Vergnügen (und leichtem Schaudern) lesen kann.

„Er war entweder aufgedreht und nervig gut drauf oder niedergeschlagen und weinerlich, und in beiden Stimmungslagen konnte er gleichermaßen gefährlich und böse sein. Es konnte jederzeit kippen. Natürlich lernte Charlotte, Strategien zu entwickeln, ihn besser zu kontrollieren, seine Stimmungslage schnell einzuschätzen und ihn zu beeinflussen. Wenn sie etwa wusste, dass er in Beißlaune war, versuchte sie, ihm ein anderes Opfer vor die Füße zu werfen, das er sowieso gerne biss oder früher oder später eh beißen würde.“

Und da ist sie nun also, Charlotte Scharf, frischgekürte zweite – weil „administrative“ – Assistentin des Verlegers Ugo Maise. Eine attraktive junge Frau, die Stiefel mag, von einer Karriere als Musikerin träumt, aber erst einmal in einem Verlag arbeitet, aus Vernunftgründen. Zugegeben: Das ist der Wunsch ihrer Eltern, bei denen offen bleibt, wer der beiden schlimmer ist. Und Charlotte selbst? Ist … nicht unnett. Außer, wenn sie ein bisschen fies ist. Ein Opfer, das sei unterstrichen – und eine Täterin, denn auch das ist Teil der Wahrheit.

Vor allem ist Charlotte Scharf die Hauptfigur in DIE ASSISTENTIN, dem neuen Roman von Caroline Wahl, heiß erwartet von hunderttausenden Leser*innen – und nicht von der Jury des Deutschen Buchpreises.

Wird es Caroline Wahl schaffen, die Fans ihrer ersten beiden Bestseller wieder zu begeistern – und mit DIE ASSISTENTIN neue Lesende zu finden?

Ich gehöre zu den gefühlt wenigen, die 22 BAHNEN und WINDSTÄRKE 17 nicht gelesen haben – und kann deswegen keine Vergleiche anstellen, ob die Autorin mit dem dritten Roman einen Sprung nach oben oder zur Seite macht. Was aber sicher ist: DIE ASSISTENTIN hat mir großes Lesevergnügen bereitet, das ich auch deswegen als schlau konzipiert empfinde, weil es mir mehr als einmal ein erfreutes „Jawohl, hurra“ beschert hat. Und das ich noch dazu mag, weil ich das Gefühl habe, dass es sich nicht so ernst nimmt, wie man erwarten könnte. (Kleiner Warnhinweis: Dieser Text kann nachfolgend Spuren von Spoilern enthalten.)

Wie nähert man sich diesem Buch, das einlädt, es in einem autofiktionalen Kontext zu lesen? Bekannt ist, dass Caroline Wahl bei einem Verlag gearbeitet hat und dort nicht überglücklich war; darum ist es verführerisch, sich nach dem Wahrheitsgehalt ihres Romans zu fragen – insbesondere, was die Figur des Verlegers angeht. „Wie im Film. Der Teufel trägt Prada“, legt die Autorin einer Figur diese Einordnung bereits auf Seite 36 vorsorglich in den Mund, und lässt Charlotte antworten: „Nur düsterer. Quasi die auf ARTE ausgestrahlte Indie-Variante.“ Ob dies eine Nebelkerze ist oder Führung des Textverständnisses, sei dahingestellt.

Für den Genuss des Romans ist es unwichtig, ob Ugo Maise ein Vorbild hat oder ein Konglomerat ist aus negativen Aspekten (männlicher) Führungskräfte; gleichzeitig habe ich mich dabei ertappt, dass ich überlegte, ob der Name ein Anagramm sein könnte, da man das EGO schnell findet, ob er an ein französisches Wort angelehnt ist … oder ob Herr Maise einfach nur eine Meise hat. (Fun Fact: Laut Internet steht „Maise“ im Österreichischen für „Hackfleisch im Schweinenetz“. Auch eine schöne Assoziation, so vergnüglich wie der Hinweis, dass es im Verlegerbüro streng riecht, weil der Teppich „aus Kaschmirziege“ gefertigt wurde.)

DIE ASSISTENTIN scheint damit zu kokettieren, autofiktional zu sein – aber ist der Roman das auch?

Die zweite Frage, die man sich stellen darf und vermutlich soll, ist, inwieweit sich Caroline Wahl selbst in den Text geschrieben hat: Die Autorin hat in den letzten Jahren ein öffentliches Bild von sich gezeichnet, das man in der Charakterisierung von Charlotte wiederfinden kann; wer sich auf dieses Spiel einlässt, findet vermutlich ausreichend Reibungspunkte, um sich darüber zu erregen. Da möchte ich nicht mitspielen, zumal ich zwar mit der Anspruchshaltung der realen Person fremdle, mich in Aspekten der Protagonistin aber zuhause fühle: „Dieses Gefühl, alles im Griff zu haben, alles zu choreographieren, fühlte sich ein bisschen an wie auf Drogen zu sein.“

Also, weg mit Vor- und Hintergrundwissen und ab ins Buch.

Ich habe DIE ASSISTENTIN von Anfang an mit Vergnügen gelesen: Caroline Wahl jongliert ebenso vergnügt wie zielsicher mit dem Foreshadowing, einem beständigen „Es wird ganz schlimm, aber jetzt ist noch alles okay“. So erzeugt sie, zumindest für mich Leser von geringem Verstand, Spannung, die mich durch eine Handlung getrieben hat, von der mir erst nach dem befriedigten Zuklappen des Buchs bewusst wurde, wie dünn sie ist. Aber muss hier das große Rad gedreht werden, will die Autorin überhaupt den Zeigefinger heben? In meiner Wahrnehmung flötet DIE ASSISTENTIN eher: „I’m just here for your Entertainment.“

Was mich ab Kapitel 12 vergnügt in die Hände klatschen ließ: Caroline Wahl reißt die vierte Wand ein, lässt die Erzählstimme über die Meinung der Lesenden und später des Lektors nachdenken, und das in einer Tonlage, die ich selten finde in deutscher Unterhaltung. Tatsächlich musste ich an die grandiose Serie FLEABAG denken – und daran, dass das britische Verständnis von Comedy ein vielschichtigeres und (böses Wort incoming!) wertigeres ist als das deutsche. Auf dieser Ebene kann man DIE ASSISTENTIN feiern als einen Roman, der den Humor findet im Bösen, das Positive im Unsympathischen – und uns nebenbei mit Alexandra Liebig auch noch eine HR-Alternative zu Dolores Umbridge schenkt.

Caroline Wahl spielt mit Perspektivbrüchen, dass es ein Vergnügen ist!

Besonders gut gefällt mir Wahls Kunstgriff auch, wenn offen bleibt, ob es im fiktiven Leben der fiktiven Charlotte den Love-Interest wirklich gibt, oder ob die allwissende Erzählfigur (von der gleichsam offen bleibt, ob es die Autorin ist), ihn nur als Spielball in die Manege wirft:

„Später wird Charlotte vor der Frage stehen, ob sie sich Bo, den romantischen, pragmatischen Bären, nur eingebildet hat. Das fragt sie sich natürlich nicht wirklich, aber er wirkt so ausgedacht. Wie eine Romanfigur. […] Aber sie ließ ja nicht genug Platz für eine weitere Hauptfigur.“

So, wie die Autorin keine Angst vor dem Anecken hat, ist auch Charlotte keine Figur, die ins Herz geschlossen werden muss – im Gegenteil, sie kann fies sein, wenn sie gegen eine Kollegin intrigiert, wenn sie Ersatzopfer sucht, um den Verlegerzorn von sich abzuwenden, oder Charaktereigenschaften zeigt, die in einer Wohlfühl-Work-Life-Balance-Welt vermutlich den „Goldenen Boomer am Bande“ verdient: „Statt Empörung oder eines Gefühls der Solidarität flammte Ehrgeiz in Charlotte auf.“ DIE ASSISTENTIN macht so (und ganz nebenbei) klar, dass es die Ugo Maises dieser Welt nur geben kann, weil vor, hinter, neben ihnen Charlotte Scharfs und Alexandra Liebigs stehen.

Zuerst erlaubt Wahl uns durchaus, für Charlotte Verständnis zu haben, indem sie uns in deren Wettstreit mit der dusseligen Ivana das Gefühl gibt, dass es ihr vor allem um die ordentliche Aufgabenerledigung geht; aber immer mehr wird klar, dass das nicht ihre Triebfeder ist:

„Charlotte kennt sich selbst zu gut, um sich als Feministin zu bezeichnen. Natürlich ist sie für gleiche Chancen und so weiter, aber sie setzt sich nicht gerade aktiv dafür ein, und vor allem freut sie sich, wenn sie Vorteile wegen ihres Aussehens oder ihres Auftretens als junge Frau genießt. Aber als sie lachte, währen der Verleger über eine seiner Meinung nach unförmige, unansehnliche, ‚grässliche‘ Frau schimpfte […], war sie schon enttäuscht von sich selbst.“

Ob das die begeisterten Leserinnen mitnimmt, die in den Vorgängerbüchern mit Tilda und Ida mitfieberten, weil sie sich gerne mit ihnen solidarisierten, sei dahingestellt; für mich schließen Galle und Dornen ein gewisses Wohlgefühl nicht aus.

Ist DIE ASSISTENTIN ein feministischer Roman, auch wenn die Hauptfigur sich darauf beruft, es nicht zu sein?

Man kann das, was Caroline Wahl neben der Übergriffigkeit eines in gleichem Maße hoch- und unterkomplexen Mannes zur Triebfeder ihres Romans macht, vermutlich als Stockholm-Syndrom interpretieren, als Identifikation mit dem Aggressor oder Ausleben des Vaterkomplexes – Charlotte ist Opfer und Manipulatorin zugleich. Die Autorin schont ihre Hauptfigur ebenso wenig, wie Ugo Maise es tut … aber wenn sie eine Panikattacke mit einem hirnlos heiteren Episodentitel von SHOPPING QUEEN kontrastiert, ist das ein bitterböses Vergnügen und das Handwerkszeug einer versierten Autorin, die sich – neben einer Bartresen-tauglichen Schnodderigkeit – noch dazu auf trockene Kommentare versteht, mit denen sie große Themen auf barrierefreie Erkenntnisse eindampft:

„Im Herbst oder im beginnenden Winter würde sie sich zu fragen anfangen, ab wann man eigentlich von sexueller Belästigung spricht. Diese Frage würde sich Charlotte immer öfter stellen, was vielleicht schon Antwort genug war.“

Überhaupt: Das übergriffige Verhalten von Ugo Maise hat viele Facetten – von denen offen bleibt, ob ihre Bloßstellung vor anderen noch zu den harmlosen gehört („Seht euch ihre Schuhe an, und sie heißt tatsächlich Scharf, wie Schaf mit r.“) oder fast so schlimm ist wie das Machtgebaren, mit dem der Arbeitsplatz einer Assistentin in diverse Privaträume verlegt wird. Die Autorin spielt damit, dass es in der beständigen Übertreibung absurd wirkt, aber gleichzeitig nicht weniger real. Caroline Wahl hat vermutlich nicht den Anspruch, solche Missstände aufzuarbeiten – macht sie aber fühlbar. Und darin liegt für mich eine der Qualitäten ihres Romans:

Weil DIE ASSISTENTIN nicht den Versuch unternimmt, seine Themen in die Tiefe gehend auszuleuchten, nimmt Caroline Wahl viele Lesende bei der Hand und führt, wie oben bereits erwähnt, zu Erkenntnissen, die möglicherweise Kalenderweisheiten sind, aber gerade dadurch konkretisieren, was große Denkende in deren komplexeren Worten weniger zugänglich machen:

„Am Ende wollen die Eltern stets nur das Beste für die Kinder. Das Problem ist, dass die Eltern nicht wissen, was das Beste für die Kinder ist, und dass die Kinder in der Regel auch nicht wissen, was das Beste für sie ist, und so scheint die einzige Lösung des Problems und die zentrale Aufgabe im Leben des erwachsen werdenden Kindes zu sein herauszufinden, was das Beste für sie ist, und sich dabei von den Eltern nicht reinreden zu lassen.“

Ist DIE ASSISTENTIN ein gelungenes Buch? Ja. Und nein. Und deswegen wieder: JA!

Caroline Wahl hat ein ebenso böses wie fesselndes Kammerspiel inszeniert, in dem Charlotte und der Verleger einander umkreisen; wer will, darf sich die Geschichte aufgrund seiner Handlungsarmut sogar als One-Woman-Show auf einer abgedunkelten Bühne vorstellen.

Bemüht Caroline Wahl das Foreshadowing zu oft? Ja. Verliert sie manches – wie Charlottes anfängliche Obsession für Cathy Hummels – aus den Augen? Ja. Hätte man aus der Figur des Nachbarn mehr machen können oder aus dem Verlagssetting? JA! Und ist das Buch, trotz aller Abgründe, in die geschaut wird, wenig in die Tiefe gehend? Einmal mehr, sagen wir’s im Chor: Ja.

Aus solchen Gründen könnte man zur Schlussfolgerung gelangen, dass die Autorin ein „besseres“, ein im literarischen Sinn „gelungeneres“ Buch hätte schreiben können. Aber gleichzeitig gilt: Das ist gar nicht nötig. Und die Vermutung, die ich hier und da und dort hörte – dass die Autorin den Versuch unternommen hat, einen Roman zu schreiben, der sich nun auch endlich für den Deutschen Buchpreis empfiehlt, dann aber nicht nur an der Jury, sondern auch der Herausforderung gescheitert ist –, halte ich für wenig zielführend.

Was vom Buche übrig bleibt …

Schnell, humorvoll, anders als erwartet: DIE ASSISTENTIN ist ein hervorragendes Unterhaltungsbuch, das man mit großem Vergnügen lesen kann – und in dem Caroline Wahl nicht ihr bisheriges Erfolgskonzept fortsetzt und zwecks Monetarisierung die an sie gestellten Erwartungshaltungen erfüllt. Sich das zu trauen, erfordert, was ich – mon dieu! – entgegen meiner sonst doch so literarischen Herangehensweise als „dicke Eier“ bezeichnen würde – und die hat sie, die Autorin! (Und nebenbei bemerkt: Der Verlag auch, für den es möglicherweise auch ein bisschen geiler gewesen wäre, wenn DIE ASSISTENTIN „nur“ auf der Vorgängerwelle surfen würde.)

Wenn wir uns noch dazu gedanklich einen Schritt zur Seite bewegen: Der Roman wird viele Menschen begeistern, ist Leseförderung pur, er wird für Umsatz sorgen, den der deutsche Buchhandel braucht, und es kann vielleicht sogar die Antwort auf die große Frage sein, welche Art von Büchern es braucht, um als Scharnier zu funktionieren zwischen dem New-Adult-Genre und der „erwachsenen“ Unterhaltung. Darum: Erst beide Daumen hoch – und dann: APPLAUS.

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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Leseexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Caroline Wahl: DIE ASSISTENTIN. Rowohlt, 2025.