Anna Maschik hat nicht nur einen ungewöhnlichen Titel für ihr Buch gewählt, sondern mit WENN DU ES HEIMICH MACHEN WILLST, MUSST DU DIE SCHAFE TÖTEN noch dazu einen der herausragenden Romane des Bücherherbstes 2025 geschrieben – und nimmt sich jetzt Zeit für ein Kurzinterview.
Man reiche mir das Phrasenschwein, damit ich direkt fünf Euro einwerfen kann: Man soll ein Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen. Hätte ich’s getan, ich weiß nicht, ob ich in den absoluten Genuss gekommen wäre, den es für mich bedeutet hat, WENN DU ES HEIMLICH MACHEN WILLST, MUSST DU DIE SCHAFE TÖTEN zu lesen.
Wenn man den Auftakt von Anna Maschiks Roman kennt, dann versteht man den Titel – und am Ende des Romans auch das Umschlagmotiv. Dazwischen ist man 232 Seiten lang gebannt von dieser Geschichte über vier Generationen einer Familie, über einen Hof an der deutschen Küste und ein Einrichtungshaus in Österreich, über Frauen, die schlachten, Kinder zur Welt bringen, Tote waschen und Gärten pflegen – und über die dazugehörigen Männer, die Wölfen gleichen oder Puppen, erst spät im Leben erwachen oder nicht besonders an ihm hängen (also: dem Leben).
Es kommt selten vor, auch bei literarischen Titeln, dass jeder Satz so perfekt sitzt – und wie die Autorin manchmal gar keine Buchstaben und Zeilen braucht, um eine Geschichte zu erzählen, ist ebenso einfach gemacht wie nachhallend in der Wirkung. Noch dazu ist Anna Maschiks Roman einer, der anspruchsvoll ist, aber barrierefrei bleibt: ein Buch, von dem ich wünsche, dass es viele Menschen lesen, auch jene, die nur hin und wieder eins zur Hand nehmen. Weil ich sicher bin, dass Anna Maschiks Geschichte die allerbeste Leseförderung ist. Und Herzensbildung vielleicht noch dazu?
Umso mehr freue ich mich, dass die Autorin sich die Zeit genommen hat, mir drei neugierige Fragen zu beantworten.
Liebe Anna, der Titel Deines Romans WENN DU ES HEIMLICH MACHEN WILLST, MUSST DU DIE SCHAFE TÖTEN gehört sicher zu den ungewöhnlichsten in diesem Jahr – hat er Dich schon während des Schreibens begleitet?
Anna Maschik: „Ja, der Titel, welcher auch der erste Satz des Buches ist, stand tatsächlich auch am Anfang des Schreibens für mich. Ich habe von den Schwarzschlachtungen im Nationalsozialismus erfahren – also Hausschlachtungen, die nicht den vorgegebenen, rationierten Schlachtungen entsprachen und daher illegal waren. Diese wurden meist von Frauen ausgeführt, da die Männer im Krieg waren und zuhause die Familie weiter ernährt werden musste.
Mich hat interessiert, wie sich diese, zuvor männliche und auch öffentliche Tätigkeit (im Dorf wurden große Schachtfeste gefeiert; man schlachtete gemeinschaftlich, nicht individuell), nun in die Sphäre des Weiblichen und Heimlichen verschob. Und ich fragte mich, wie sich die Geschichte einer Familie über dieses Bild erzählen ließe. Es wurde eine Familiengeschichte, die sich vorrangig im Körperlichen abspielt: dem Schlachten, Essen, Gebären und Sterben.“
Die kurzen Schlaglichter, die Du auf die Menschen im Familienstammbaum Deiner Hauptfigur Alma wirfst, sind so verdichtet, dass ich an den Geschmack einer Sterneküchen-Soße denken musste, die über Tage immer weiter reduziert wird; gleichzeitig springst Du durch die Zeitebenen. Wie schreibt man so ein Buch?
Anna Maschik: „Ich habe sehr lange an dem Text gearbeitet, während ich nebenbei auch immer berufstätig war und studierte. Daher wechselten sich intensive Schreibphasen mit wochenlangem Nicht-Schreiben ab. Der Text hat im Laufe dieser Zeit in allen denkbaren Versionen existiert: Mal wurde eine Figur nach der anderen abgehandelt (das hatte den Nachteil, dass man die Zeit immer wieder ‚zurückspulen‘ musste, wenn man sich der nächsten Figur zuwandte), mal wurde chronologisch erzählt (Alma brachte sich erst ganz am Schluss ein, das ist jetzt eigentlich undenkbar für mich) und schließlich machte es bei der aktuellen Fassung plötzlich ‚klick‘.
Jetzt wird die Geschichte der Vorfahren chronologisch erzählt und Alma bringt sich immer wieder mit Anekdoten aus ihrem eigenen Leben ein, die sich jedoch nicht an eine zeitliche Abfolge halten.“
Die Lebensläufe Deiner Figuren sind spannend, Dein Schreibstil ist besonders – und als wäre das alles nicht schon genug, überrascht und begeistert Dein Roman auch mit einer wohldosierten Phantastik. Hast Du eine Schwäche für die deutsche Romantik oder den magischen Realismus?
Anna Maschik: „Ja, das erste Buch, das ich als Jugendliche gelesen habe, in dem Momente auftauchen, die ich magisch-realistisch nennen würde, war ‚Die Mitte der Welt‘ von Andreas Steinhöfel. Darin gibt es zum Beispiel eine Puppe, die man niemals fragen darf, warum sie ihren Namen trägt. Als es schließlich doch jemand tut, fällt sie hinunter und zerbricht. Es war für mich eine absolute Erleuchtung, ich dachte: ‚So kann man erzählen?‘
Später haben mich vor allem Texte aus Südamerika begeistert, zum Beispiel von Isabell Allende und Gabriel García Márquez. Die Magie oder das Phantastische in meinen Texten soll nicht verwirren, sondern im Gegenteil: etwas über die Realität verraten. In jenen Momenten, in denen etwas geschieht, für das die Familie keinen Ausdruck hat, wird die Umwelt aktiv. Gefühle oder Erlebnisse äußern sich – wortwörtlich, indem sie in der Außenwelt auf sonderbare Weise in Erscheinung treten.“
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension und bei diesem Interview handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Beides gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder beziehungsweise ist meiner Neugier geschuldet.
Anna Maschik: WENN DU ES HEIMLICH MACHEN WILLST, MUSST DU DIE SCHAFE TÖTEN. Luchterhand, 2025.


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