Ich bin Fanboy dieser Autor, und der kleine, feine Textband bestätigen mich einmal mehr
„Manchmal setze ich die Mütze kurz auf und bilde mir ein, den fast hundert Jahre alten Rauch und den Angstschweiß eines tapferen Feuerwehrmanns zu riechen. Vielleicht war es nur eine Geschichte, die mir der Verkäufer erzählt hat – aber sie ist nun in meinem Kopf und geht auch nicht mehr weg.“
Die Definition, was Literatur ist – womöglich noch gute! –, ist so vielseitig wie die Menschen, die darüber nachdenken. Es gibt immer noch diejenigen, die der Meinung sind, dass Literatur ein bisschen weh tun muss beim Lesen eines Textes, dessen Worte und Inhalte uns sperrig herausfordern. Mein Ansatz geht in die andere Richtung: Literatur macht das Unverständliche einfach und das Schwere leicht, Literatur öffnet Fenster, Türen und vor allem Herzen … und zeigt das Große da, wo es sich im Kleinen verbirgt. Was uns, mit Tusch und Trommelwirbel, zu DIE REISGÖTTIN UND ANDERE MITBRINGSEL führt. Fun Fact: Als Leser von geringem Verstand hatte ich zunächst „Reisegöttin“ wahrgenommen … was aber auch hervorragend passen würde.
In 47 Miniaturen schenkt uns Doris Dörrie das Gefühl, mit ihr durch eine sonnendurchflutete Halle zu flanieren, vorbei an den Gegenständen, die für sie Bedeutung haben (was unterstreicht, dass die englische Sprache manchmal schöner ist als unsere, denn in New York oder Plymouth und überall drumherum würde man vermutlich von „Objects of Affection“ sprechen). Wir erfahren, dass die titelgebende Reisgöttin keine uralte Tradition hat, aber auch, wie man jeden Fleck durch das Auftragen eines Puders verschwinden lässt, warum es vielen Frauen gut tun würde, von einem Fuchs besessen zu sein, und warum ein Teppichklopfer manchmal wie die Adams’sche „42“ ist, nur anders – und ja, liebe Freund*innen der sich bahnbrechenden Emotionalität, beim Lesen der letzten Zeilen in diesem Buch wurden meine Augen feucht, während ich das Gefühl hatte, die Welt umarmen zu können.
Ein vergnügtes Maß an Selbstironie und Verschrulltheit, ein freundliches Kopfnicken in Richtung von Marie Kondo und der eigenen Familie, die nicht noch mehr Porzellantellerchen oder Trödelmarktglückseligkeit braucht: Doris Dörrie beherrscht die Kunst, tänzelnd leicht und gleichzeitig kraftvoll – weil nachhallend – zu schreiben. Hier erzählt natürlich eine gestandene Frau, die sich mit Dramaturgie, mit Bergen, Tälern und der Ebene auskennt, aber auch das Staunen hat, das man allgemein mit Kindern verbindet, meiner Meinung nach aber eine sehr erwachsene Qualität ist, die wir alle hegen und pflegen sollten. Und obwohl jeder der sehr kurzen Texte in sich abgeschlossen und befriedigend ist, haben sie doch nahezu alle das Potential, unsere eigenen Gedanken tanzen zu lassen; kein Wunder, dass Dörrie inzwischen auch Schreibkurse gibt und mit LEBEN. SCHREIBEN. ATMEN. eine „Einladung zum Schreiben“ veröffentlicht hat.
DIE REISGÖTTIN erscheint unter dem TAPIR-Label des Diogenes-Verlags, und der Preis für das „nachhaltig im Cradle-to-Cradle-Silberstandard“ produzierte 102-Seiten-Kleinformat mit Texten, die zum größten Teil Zweitverwertungen einer ZEIT-Kolumne sind, erschien mir im ersten Moment trotz Vierfarbdruck und Lesebändchen so ungewöhnlich hoch (zumal ich eher nicht vorhabe, diesen Schatz nun zwecks Leistungsnachweis kompostieren zu lassen), dass ich fast schon spürte, wie sich über meiner hochgezogenen Augenbraue eine Falte bildete. Aber schon nach den ersten Sätzen war sie wieder geglättet, denn die Lektüre ist wie eine Wellness-Behandlung für Körper, Geist und Seele – notiert euch bitte: „Botox lähmt, Dörrie entspannt.“ Und macht glücklich. Und jetzt: Applaus und Glitzerkonfetti.
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Ich habe dieses Buch selbst gekauft; es handelt sich bei dieser Rezension also nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung, sondern sie gibt lediglich meine Meinung wieder.
Doris Dörrie: DIE REISGÖTTIN UND ANDERE MITBRINGSEL. Diogenes Tapir, 2024
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